Condoleezza Rice sprach bei einem Besuch in Beirut im Juli 2006 von den "Geburtswehen des neuen Nahen Ostens". Damals tobte gerade ein Krieg zwischen der libanesischen Hisbollah und Israel mit hunderten Toten, zerstörten Brücken und einem zerbombten Stadtteil Haret Hreik im Süden von Beirut.
Nun, 2013, tobt ein Bürgerkrieg in Syrien, dessen Flammen auf den Libanon übergreifen zu drohen, Ägypten erlebte seine 360°-Revolution, von einer Militärdiktatur zum ersten frei gewählten Präsidenten des Landes, Mohammed Mursi - einem inkompetenten Antidemokraten - zurück zu einer Militärdiktatur 2.0. Diese Chunta Reloaded hat den früheren sklerotischen Machthaber Hosni Mubarak aus der Haft entlassen und dafür hunderte Muslimbrüder verhaften und auf den Straßen Kairos ein Blutbad anrichten lassen. Libyen, Tunesien, Bahrain, Jemen- die Länder des Arabischen Frühlings kommen nicht zur Ruhe.
Der ägyptische Botschafter in Wien, Khaled Shamaa, stellte sich gestern, Dienstag, der Presse und legte die Positionen seiner Regierung dar. Auf eine Frage der "Wiener Zeitung", ob die exzessive Gewalt bei der Räumung der Muslimbrüder-Protestcamps, bei der hunderte Anhänger der Muslimbrüder ums Leben gekommen sind, notwendig war, sagte Botschafter Shamaa, dass die Gewalt von den Demonstranten und nicht von den Sicherheitskräften ausgegangen sei. Zu keiner Zeit sei die Gewalt von den Sicherheitskräften ausgegangen als vielmehr von den Demonstranten - und diese sollen laut Botschafter zudem alles andere als friedlich gewesen sein: "Wo es Waffen und Munition, Hasspredigten und Drohungen gibt, kann man nicht mehr von einer friedlichen Demonstration sprechen", sagte Shamaa. Die Protestcamps hätten das öffentliche Leben in ganzen Vierteln der Stadt lahmgelegt und seien eine Störung der öffentlichen Ordnung gewesen. Der abgesetzte Präsident Mohammed Mursi sei als Präsident nicht einen Tag länger tragbar gewesen. "Wenn ein Präsident in seinem eigenen Volk den Feind sieht - was erwartet man sich? Auf welche Zukunft kann man dann noch hoffen?" so Shamaa. Die Wirtschaft wäre völlig kollabiert, hätte man Mursi seine Amtszeit beenden lassen.
Mit dem letzten Punkt hat der Botschafter wohl recht: Während der Herrschaft des Mubarak-Regimes haben Korruption und Misswirtschaft die Wachstumspotenziale der ägyptischen Wirtschaft stranguliert. Mit Mursi gesellte sich kolossale Inkompetenz dazu. Die Muslimbrüder, das hat Mursi gezeigt, sind gut für die Moschee, für den Markt sind sie ungeeignet.
Ägyptens kolossale Wirtschaftsprobleme
Die palästinensische Ökonomin Farah Halime (sie bloggt auf ihrer Website www.rebeleconomy.com) verweist darauf, dass wirtschaftliche Faktoren maßgeblich zum Sturz Mubaraks beigetragen haben und die moribunde Wirtschaft mit ein Grund für das abrupte Ende von Mursis Regierung war. "Ägyptens Budgetdefizit liegt bei 15 Prozent, 1,2 Millionen Menschen haben während der unglücklichen Regentschaft von Mohammed Mursi ihren Job verloren", sagt Halime in einem Café in Alpbach. Die junge Ökonomin, die eben von Kairo nach Beirut übersiedelt ist, war heuer zu Gast beim Europäischen Forum Alpbach und sie ist Expertin beim European Council on Foreign Relations. Die Probleme, die nun vor der Übergangsregierung liegen, nennt sie "kolossal", die Einnahmen aus dem Tourismus seien zusammengeschmolzen, die Einnahmen aus dem Ölgeschäft würden stagnieren und nur der Suez-Kanal spüle jedes Jahr über fünf Milliarden Dollar in die Staatsschatulle. Die Kanal-Gebühren und Remissionen von im Ausland arbeitenden Ägyptern würden das Land - neben den Finanzspritzen einiger golfarabischer Staaten - über Wasser halten. Nach Angaben der Zentralbank sind die Währungsreserven mittlerweile aber von 36 Milliarden Dollar am Anfang des Jahres auf 18 Milliarden Dollar gefallen.
"Übergangskabinett,
nicht Militärführung"
Das Land braucht also dringend Devisen. Der ägyptische Botschafter in Wien, Khaled Shamaa, warb bei seinem Pressegespräch für Ägypten als Urlaubsland: Für die primären Urlaubsziele österreichischer Touristen, wie beispielsweise Hurghada oder Sharm-el-Sheik bestünde keine Gefahr, sagte er - auch wenn er einräumen musste, dass die Sicherheitslage am Sinai alles andere als zufriedenstellend sei. Die Sicherheitslage in Kairo habe sich in den vergangenen Wochen wesentlich verbessert - weitere Gewaltausbrüche seien aber nicht auszuschließen. Dass die derzeitige Führung Ägyptens eine Junta ist, davon möchte der Botschafter nichts wissen. Im Gegensatz zu 2011 gebe es heute keine Militärführung in Ägypten, sagte der Botschafter. "Nicht nur der Premierminister, sondern das gesamte Kabinett besteht aus Experten ohne politische Agenda oder Orientierung. Sie sind alle Experten in ihren Fachbereichen", erklärte Shamaa. Zudem habe das Volk aus seinen Fehlern gelernt und wüsste nun, was Demokratie heißt. Ein Militärputsch sei demnach nicht zu befürchten.
Die Fehler, die nach der sogenannten Revolution gemacht wurden, sind heute deutlich: Viel zu rasch wurde im Land am Nil auf Wahlen gedrängt, dabei hätte es davon eines institutionellen Rahmens bedurft. Ohne funktionierende staatliche Strukturen und Institutionen, ohne freie Medien, ohne einen funktionierenden Rechtsstaat kann eine Demokratie nicht funktionieren. Die blau gefärbten Zeigefinger, die die Menschen nach der Wahl in die Kameras hielten, sind zwar ein fotogenes Symbol für den demokratischen Akt des Wählens, aber Demokratie ist mehr, als auf einem Stimmzettel ein Kreuzchen zu machen. Ägypten wird noch lange nicht zur Ruhe kommen.
Eine wichtige Figur für einen Übergang zu einem demokratischen Ägypten wäre der lange Jahre in Wien lebende UN-Diplomat und Nobelpreisträger Mohammed ElBaradei gewesen. Er wandte sich stets gegen Gewalt und sprach sich für eine möglichst inklusive Regierung aus. ElBaradei ist nach dem Massaker an den Muslimbrüdern als ägyptischer Vizepräsident der Übergangsregierung zurückgetreten und überstürzt nach Wien abgereist. Gegen ElBaradei gebe es aber keine "Verfolgung, gerichtlichen Prozess oder Hexenjagd", sagte Shamaa.