Damaskus/Washington. Wird der Westen militärisch im syrischen Bürgerkrieg eingreifen oder nicht? Seit bei Damaskus Wohnviertel in einer Giftgas-Wolke versunken sind, laufen die diplomatische Drähte zwischen Washington, Paris und London heiß. Hier werden die Möglichkeiten eines Angriffs geprüft. In Deutschland, das sich mitten im Wahlkampf befindet und wo man von einem unpopulären militärischen Eingreifen nichts wissen will, ist klar: Der Einsatz von Chemiewaffen erfordert eine klare Antwort.

Washington will einen militärischen Alleingang unbedingt vermeiden und sucht Verbündete: Als treuer Mitstreiter steht Großbritannien zur Seite, ein Eingreifen Frankreichs ist ebenfalls wahrscheinlich. Die Türkei will das "Giftgasmassaker" ebenfalls "nicht ungestraft" lassen und ist zum Waffengang bereit. Die Türkei gehört zu den Ländern, die am stärksten vom Bürgerkrieg in Syrien betroffen sind: Der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab, an Spitzentagen sind es 3000 Verzweifelte, die ins Land kommen.

Dass Mittwochnacht ein Angriff mit Chemiewaffen stattgefunden hat, wird von "Ärzte ohne Grenzen" bestätigt. Die unabhängige internationale Hilfsorganisation hat gute Kontakte zu den Spitälern, in die die Opfer des Angriffs eingeliefert wurden. Mindestens 355 Menschen seien gestorben, insgesamt wären 3600 mit Symptomen einer Nervengasvergiftung in die Spitäler eingeliefert worden, heißt es hier.

"Assad verantwortlich"

Die entscheidenden Akteure in Washington, London, Paris und Berlin halten es für so gut wie erwiesen, dass das Regime Bashar al-Assad für das Massaker verantwortlich ist. Man warte nur noch auf den "allerletzten Beweis", heißt es etwa in Berlin. Experten bezweifeln gegenteilige Versionen. Dass es den syrischen Rebellen gelungen sei, aus einer eroberten Chlorgasfabrik Chemikalien zu entnehmen und diese waffenfähig zu machen, gilt als nicht wahrscheinlich. Dazu, so Waffenexperten, brauche man enorme Mengen an Chemikalien.

US-Außenminister John Kerry ist überzeugt vom Einsatz von Chemiewaffen. Die Beweise dafür seien "real und überzeugend", sagte er bei einer Pressekonferenz in Washington am Montag. Die zeitweilige Weigerung, UN-Inspektoren Zugang zu gewähren und Artillerieattacken auf den Schauplatz seien Zeichen, dass das Regime etwas zu verbergen habe. Kerry sagte, die USA würden nach Rücksprache mit Partnerstaaten in den kommenden Tagen reagieren.

Russland erkennt allerdings weiterhin in den syrischen Rebellen die Schuldigen für die Giftgas-Angriffe - und warnt den Westen vor einem militärischen Eingreifen.

Noch ist keine definitive Entscheidung gefallen, doch vieles deutet darauf hin, dass Assad bald neue Probleme bekommt: Washington lässt die verschiedenen militärischen Optionen prüfen, die der US-Army zur Verfügung stehen. London zieht nach, und Frankreich droht dem Regime in Damaskus indirekt mit Waffengewalt. US-Präsident Barack Obama hat vor einem Jahr den Einsatz von Chemiewaffen als rote Linie bezeichnet, die dann überschritten wäre. Er hat zwar offen gelassen, wie die USA dann reagieren würden - klar ist aber, dass er ein militärisches Eingreifen gemeint hat.

Will Obama, dass seine Drohungen international in Zukunft ernst genommen werden, muss er handeln. Das weiß der US-Präsident, doch er zögert. Zunächst einmal deshalb, weil die USA kein UN-Mandat für ein militärisches Eingreifen erhalten werden. Hier stellt sich Russland quer. Beobachter verweisen auf den Modellfall Kosovo 1999, als Zivilisten vom mit Moskau verbündeten Regime Milosevic niedergemetzelt wurde. Damals beschloss die Administration unter Bill Clinton, dass zum Schutz von Zivilisten auch am UN-Sicherheitsrat vorbei Luftschläge gegen die serbische Armee befohlen wurden. Das wäre auch jetzt eine Option.

Dazu kommt, dass Obama zwei verlustreiche Kriege von seinem Vorgänger George W. Bush geerbt hat - jenen im Irak und jenen in Afghanistan. Dass Washington Bodentruppen nach Syrien schickt, ist deshalb für die nächsten Monate auszuschließen.

Doch auch Obamas ehemaliger Konkurrent um den Einzug ins Weiße Haus, der republikanische Senator John McCain, will gar nicht so weit gehen. "Wir können (in Syrien, Anm.) die Start- und Landebahnen und 40 oder 50 Flugzeuge zerstören", schlägt der Vietnam-Veteran vor. Die USA würden Marschflugkörper einsetzen, amerikanische Menschenleben wären nicht gefährdet, die Kosten relativ gering. McCain ist der prominenteste Vertreter jener Fraktion im US-Kongress, die um die Glaubwürdigkeit der USA in Nahost besorgt sind und dem US-Präsidenten Passivität vorwerfen. Mittlerweile gibt es auch schon demokratische Abgeordnete, die sich für ein militärisches Eingreifen starkmachen. Will er sich nicht dem Vorwurf aussetzen, wie Hamlet auf der internationalen Bühne zu agieren, wird Obama bald eine Entscheidung fällen müssen. Russland hat am Montag jedenfalls ausgeschlossen, dass man militärisch in Syrien intervenieren werde. "Wir haben keine Absicht, mit irgendwem Krieg zu führen", so Außenminister Sergej Lawrow. Und die Russen empfehlen den USA, es ihnen gleichzutun.

Dass es keinen Segen der UNO für ein militärisches Eingreifen gibt, sieht auch Walter Feichtinger, Leiter des "Österreichischen Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement", als Problem. "Das ist eine zusätzliche Hemmschwelle. Denn damit wird wieder viel politisches Porzellan zerschlagen, was die Zusammenarbeit in anderen Feldern in Zukunft wieder erschwert", so der Experte zur "Wiener Zeitung". Doch auch andere Umstände erschweren militärisches Eingreifen: "Man kann sich Syrien mittlerweile wie ein Wespennest vorstellen. Es gibt die unterschiedlichsten Akteure mit den unterschiedlichen Zielsetzungen."