Was wird aus den "arabischen Revolutionen"? Wie könnte die Zukunft aussehen? Drei brandneue Bücher analysieren tiefgründig den "arabischen Frühling" und die möglichen Perspektiven.
Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad war beim Aufstand gegen den ägyptischen Machthaber Hosni Mubarak im Frühjahr 2011 in Kairo dabei und schildert aus nächster Nähe die Geschehnisse. Sein Fazit: Dass Ägypten trotz allem Chaos und aller vorhandenen Untiefen die erste liberale Demokratie der arabischen Welt werden könnte, sei keine Utopie. Es sei vielmehr eine Möglichkeit, die mit Händen zu greifen ist, so Abdel-Samad.
Allerdings schränkt er ein, dass die autoritätsorientierte Mentalität und die soziale Realität nicht so leicht aus den Köpfen der Menschen verdrängt werden können. Man müsse zwar auf die gut organisierten Muslimbrüder aufpassen; sie dominierten aber nicht den Protest. Dieser kam und kommt von der "Generation Facebook", einer jungen, gebildeten Mittelschicht, die nach Freiheit und Demokratie rufe. Der Westen hat Facebook erfunden, die Ägypter und die Tunesier haben diese Erfindungen aufgenommen und ihr Leben damit verändert.
Trotz allem, so Abdel-Samad, brauche es "noch viele solcher Siege auf dem Weg in die Demokratie". Und das betreffe alle arabischen Gesellschaften im Umbruch. Der innere Kampf der Kulturen sei nun in der arabischen Welt allgegenwärtig, meint er. Der Westen müsse sich ökonomisch und politisch engagieren, um den Menschen in ihrer Heimat eine Perspektive zu eröffnen. Wenn sich Europa nicht als zu alt und unflexibel und die arabische Welt nicht als zu stur und dogmatisch erweisen, dann dürfe man hoffen, so Abdel-Samad.
Als profunder Kenner der arabischen Welt blickt der 1924 geborene Peter Scholl-Latour auf die jüngsten Umwälzungen in der Region. Sein Urteil über die Zukunft fällt deutlich pessimistischer aus als das von Abdel-Samad. Die ursprünglichen Hoffnungen nach Freiheit im Zuge der arabischen Revolutionen und Tumulte könnten am Ende wieder durch Konterrevolutionen oder durch extremistisch-islamistische Kräfte zunichte gemacht werden, warnt er.
Folgt "arabischer Winter"
Gerade für die Europäer würde ein Übergang zu einem "frostigen arabischen Winter" zu einer Belastung, der der zerstrittene europäische Kontinent nicht gewachsen wäre, so Scholl-Latour. Das Abendland sei in keiner Weise gewappnet, den arabischen Ungewissheiten "mit Gelassenheit, Selbstbewusstsein, Sachkenntnis und auch mit der nötigen Sympathie zu begegnen", schließt er.
Der deutsche Politologe Volker Perthes spricht von den arabischen Revolutionen als einem "historischen Großereignis", das vergleichbar sei mit der Zeitenwende 1989 in Mittel- und Osteuropa. Von Marokko bis zur Arabischen Halbinsel herrsche Aufbruchsstimmung. Die Forderungen der Bürger in den arabischen Ländern wie auch im Iran sind ähnlich: Würde, Freiheit, demokratische Beteiligung und ein Ende von Korruption und Unterdrückung. Das Spektrum der Geschehnisse in den einzelnen Ländern reicht dabei von Reformversuchen von oben und relativ raschen Machtwechseln über die blutige Unterdrückung friedlicher Proteste bis hin zu Bürgerkriegen wie in Libyen oder Syrien.
Perthes verwendet in seiner Analyse oft das Wort "Aufstand des Jahres 2011", um diese Zeitenwende hervorzuheben. Allerdings sei dies erst der Beginn einer grundlegenden Umgestaltung der soziopolitischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der arabischen Welt, deren Ausgang zwar ungewiss, an deren Ende vielleicht dann doch demokratischere Systeme entstanden sein werden. Für alle drei Bücher gilt: Prädikat lesenswert.