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"Schutzlotterie" in der zweiten Auflage

Von Katharina Schmidt aus Gmunden

Politik

Das neue gemeinsame europäische Asylsystem hat mehr Schwächen als Stärken.


Gmunden. Oktober 2013. Vor Lampedusa sterben mehr als 350 Menschen bei dem Versuch, auf dem Seeweg nach Europa zu gelangen. Es ist nur eine von vielen derartigen Katastrophen im Mittelmeer in den vergangenen 20 Jahren, aber die Politik verspricht nun, das Massensterben im Mittelmeer zu stoppen. Nie wieder dürfe es zu einer derartigen Katastrophe kommen, heißt es. Aber noch immer ertrinken Menschen im Mittelmeer, noch immer werden Leichen von überfüllten Kähnen geborgen.

Die Chance, dass der medienwirksame Sturm der politischen Entrüstung auch tatsächlich in Maßnahmen mündet, ist gering. So hat zwar die scheidende EU-Kommission erst vor kurzem in einer Mitteilung die Bedeutung einer "geordneten Einreise für Personen mit erhöhtem Schutzbedarf" betont.

Keine Vereinheitlichungder Systeme

Dass es hier rasch zu Verbesserungen kommt, bezweifelt die Politologin Petra Bendel von der Universität Erlangen aber. Denn: Erst im Sommer 2013 habe man nach fünfjährigen harten Verhandlungen das zweite gemeinsame Asylsystem (GEAS) verabschiedet, das bis Sommer 2015 in nationales Recht gegossen sein muss. "Die Verhandlungen waren von gegenseitigem Misstrauen geprägt, das will keiner mehr aufschnüren", sagte Bendel beim 6. Dialogforum Migration und Integration der Donau-Universität Krems in Gmunden am Mittwoch.

Bereits das erste GEAS, das 1999 in Kraft trat, war laut dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen UNHCR eine "Schutzlotterie", also weit entfernt vom Ziel einer Vereinheitlichung der Systeme. Ein Beispiel: Im Jahr 2011 lag die Asylanerkennungsquote für Menschen aus Afghanistan in Österreich bei 68 Prozent - in Griechenland bei 11.

Was aber bringt nun die neue gemeinsame Asylpolitik? Was die Harmonisierung der Gesetze betrifft, sieht Bendel einen Fortschritt: Immerhin würden durch das neue System die Standards in jenen Mitgliedstaaten erhöht, die bisher nur über einen rudimentären Schutz Asylsuchender verfügten. Gleichzeitig blieben aber erneut Spielräume offen - der Zugang von Asylwerbern zum Arbeitsmarkt und die Dauer des Asylverfahrens seien weiterhin Sache der Mitgliedstaaten, kritisierte die Expertin.

Expertin Bendel:"Kein politischer Wille"

Nicht viel besser schätzt Bendel die Neuerungen in Bezug auf die Schutzstandards ein. Zwar werden die Rechte besonders verwundbarer Gruppen (zum Beispiel Gewaltopfer) gestärkt, die Asylverfahren dürfen in Zukunft nicht länger als zwei Jahre dauern. "Aber das ist kein Wert an sich, wenn die Qualität der Verfahren darunter leidet", betonte Bendel. Sie führte auch zahlreiche Punkte an, die den Schutzstandard für Asylsuchende nicht erhöhen. So seien etwa weitreichende Gründe für die Inhaftnahme einzementiert worden, darunter die Nichtmitwirkung im Asylverfahren oder der - häufig vorhandene - Verlust des Reisepasses.

Völlig am Ziel vorbei, Solidarität zwischen den Staaten zu schaffen, geht laut Bendel die Neuauflage der Dublin-Verordnung, die regelt, dass jener Staat das Verfahren durchführen muss, in dem der Betreffende zum ersten Mal EU-Boden betreten hat. "Es ist kein politischer Wille zur Verteilung erkennbar, das zeigt auch die Debatte nach Lampedusa", resümierte die Expertin. Wie in Österreich wurde die Verteilungsdebatte auch in Deutschland geführt - dort werden Asylwerber nach einem Schlüssel, der etwa die ökonomische Stärke eines Bundeslands berücksichtigt, verteilt. Auf europäischer Ebene wurde das bisher verhindert. Unter anderem von Deutschland.