"Es ist nicht gut bestellt um die Rechte der Frauen in der arabischen Welt. Die Liste frauenfeindlicher Politik, Traditionen und Praktiken scheint schier endlos", schreibt Karim El-Gawhary im Nachwort zu seinem Buch "Frauenpower auf Arabisch". Der Nahost-Korrespondent holt in seinen Porträts und Reportagen einige arabische Frauen aus der Anonymität, stellvertretend für viele mutige Frauen, ohne deren Einsatz der arabische Frühling nicht möglich gewesen wäre. Er schildert das Leben von Frauen, die mit wenig Geld das Überleben ihrer Familien sichern, und von solchen, die aus privilegierten Schichten stammend eine berufliche Karriere einschlagen konnten. Lässt Widerstandskämpferinnen und Opfer von Gewalt und Unterdrückung zu Wort kommen, und auch Täterinnen. Es sind ganz individuelle Geschichten, die darlegen, wie komplex die Gesellschaft in dieser Region auf die Herausforderungen der Moderne reagiert. Mit einfachen Antworten und Lösungen ist dem nicht beizukommen.
El-Gawhary beschreibt Ausnahmefrauen, die sich über Vorurteile und gesellschaftliche Traditionen hinwegsetzen, wie zum Beispiel die Landwirtinnen Samira und Iman, die der Wüste durch Bewässerung ein Stück Land abgerungen haben, um dort Gemüse zu pflanzen. Dass die Landarbeiter diese Pionierinnen akzeptieren, heißt aber noch nicht, dass sich die Rollenklischees der arabischen Welt auflösen. Die Fernfahrerin Ferial, die seit 30 Jahren allein mit dem Lkw durch Ägypten tourt, die Richterin Tahani, die Dekanin Randa oder die Gewerkschafterin Abier – sie alle wären auch in Europa Vorzeigefrauen und Ausnahmeerscheinungen.
"Für eine Frau alles andere als üblich" ist ein Satz, dem man oft begegnet in diesem Buch, und es beschleicht einen der Verdacht, dass es noch keine Rückschlüsse auf einen gesellschaftlichen Wandel erlaubt, wenn es ein paar aufgeschlossene, mutige Frauen und Männer gibt. Vielmehr präsentiert sich das Frauendasein in den Reportagen von Karim El-Gawhary im Nahen Osten als permanente Suche nach persönlichen Nischen in einer männerdominierten, islamisch-konservativen Gesellschaft. Es ist immer ein Kampf gegen Vorurteile und gesellschaftliche Konventionen. Junge Frauen, die aus liberalen, gebildeten und wohlhabenden Familien kommen, haben es offenbar leichter, ein relativ selbstbestimmtes Leben zu führen, legen El-Gawharys Porträts nahe. Aber der soziale Druck, der auch in der Familie ausgeübt wird, ist nicht wegzudiskutieren. "Du hast immer einen größeren Bruder, der dir über die Schulter guckt", sagt die junge saudische Journalistin Abier.
Bei der Lektüre fragt man sich oft, woher diese Frauen bloß die Kraft nehmen, sich jeden Tag aufs Neue zu behaupten. Und dennoch ist El-Gawhary vorsichtig zuversichtlich was die Zukunft anbelangt. Denn der Frauenfeindlichkeit der Konservativen und Traditionalisten steht ein neues Selbstbewusstsein vor allem der jungen Frauen gegenüber, die sich nicht mehr bevormunden lassen wollen. Die orientalischen Männer unterschätzen das neue Selbstbewusstsein der Frauen, glaubt die libysche Widerstandskämpferin Asmaa.
Viele ägyptische Frauen, die sich für die Revolution eingesetzt und Leib und Leben bei den Demonstrationen am Tahrir-Platz riskiert haben, sind frustriert, dass sich nach der Revolution kaum etwas geändert hat. Wie sich das Rad der ägyptischen Geschichte weiterdrehen wird, kann auch der beredte Journalist El-Gawhary nur mutmaßen.
Nachtrag: Besonders berührend und wie ein modernes Märchen liest sich die Geschichte von Umm Naama, die mit ihrer Familie am realen und übertragenen Rande der ägyptischen Gesellschaft lebt. Eine Welle der Hilfsbereitschaft, ausgelöst durch einen Bericht El-Gawharys in deutschen Zeitungen und im ORF, ermöglicht der Familie das Überleben. Effiziente Hilfe kann manchmal ganz einfach und unbürokratisch erfolgen.
Print-Artikel erschienen am 18. Oktober 2013
In: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal".