"Ich verstehe nicht, warum die Welt gegen diese brutalen Taten nicht ihre Stimme erhebt", sagte Anfang November Gregorios III. Laham, melkitisch-katholischer Patriarch von Antiochien in einem Interview mit der Zeitschrift "Kirche in Not". Laham stand unter dem Eindruck eines grausamen Massakers an Christen Ende Oktober in der syrischen Stadt Sadad. Islamistische Milizen hatten 1500 Familien als Geiseln festgehalten, 45 Menschen grausam ermordet und die Leichen in einen Brunnen geworfen. Unter dem Bürgerkrieg in Syrien leiden keineswegs nur Christen, aber sie haben es derzeit in vielen islamischen Ländern besonders schwer und verlassen zu tausenden ihre bisherige Heimat.

"Christen sind heute die am stärksten verfolgte Religionsgruppe", schreibt Christa Chorherr in ihrem neuen Buch "Im Schatten des Halbmonds" mit dem Untertitel "Christenverfolgung in islamischen Ländern". Die Wiener Autorin sieht weltweit an die 200 Millionen Christen von Diskriminierung und Verfolgung betroffen, vor allem in islamischen Ländern. Ihre Erklärung: "Für viele Muslime scheint es ein Ausweg zu sein, die westlichen Staaten - und damit die Christen - als ehemalige Kolonialmächte zum Sündenbock für alles zu erklären, was in der islamischen Welt politisch, wirtschaftlich und sozial falsch läuft."

In der gesamten Weltgeschichte sind Menschen, die sich selbst als religiös empfanden oder deklarierten, mit Andersgläubigen nicht gerade zimperlich umgegangen. Dass dabei politische, ökonomische oder soziale Gründe meist viel wichtiger waren als religiöse Gegensätze, half den einzelnen Betroffenen - die letztlich Gewaltopfer wurden, weil sie einer bestimmten Religion oder Konfession angehörten - relativ wenig. Bekannt ist die Anekdote aus Nordirland, in der ein Mann an einer Straßensperre nach seiner Religion gefragt wird. Als er antwortet, er sei Atheist, kommt prompt die Frage: "Katholischer oder protestantischer Atheist?"

Wiedererwachen des Islam

Christa Chorherr schildert, wie Christen in der Vergangenheit unter islamischer Herrschaft einen Schutzvertrag (Dhimma) abschließen mussten, der ihnen viele Rechte entzog und sie zu Bürgern zweiter Klasse machte. Im Lauf der Geschichte wurde aber der islamische Vormarsch gestoppt, Länder mit christlicher Mehrheit entwickelten sich zu Weltmächten. Das Zurückbleiben der islamischen Länder ließ offenbar einen neuen Islamismus erwachen. "Eine Rückkehr zum wahren Ur-Islam nach dem Vorbild der frommen Muslime (salaf) der Anfangszeit schien die Lösung der Misere der islamischen Welt zu sein", schreibt Chorherr. Alles habe mit Napoleons Ägypten-Expedition 1798 begonnen. In seinem neuen Buch "Der Politische Islam" betont der deutsch-palästinensische Autor Imad Mustafa: "Der organisierte, massenhafte Rückgriff auf die Religion fiel nicht zufällig auf die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts und damit mit der Hochzeit des europäischen Kolonialismus in der arabischen Welt zusammen."

Und heute? Während viele Länder mit christlicher Mehrheit zu modernen Rechtsstaaten mit demokratischen Strukturen wurden, stößt in islamisch geprägten Gesellschaften eine solche Entwicklung an Grenzen. Mustafa begründet das so: "Da Gott in der islamischen Dogmatik als erste und letzte Ursache der Dinge gilt, hat dies natürlich auch Auswirkungen auf die politische Ordnung. (...) Strenggenommen hat in dieser Konstruktion das Prinzip, auf dem die westlich-liberale Demokratie steht, die Volkssouveränität, keinen Platz."

Graben ist tiefer geworden

Wie sich der Machtanspruch des Islam in der Politik und im menschlichen Alltag auf die Christen auswirkt, thematisiert Christa Chorherr in ihrem Buch. Seit einigen Jahrzehnten habe sich die Lage verschärft, schreibt sie: "Der islamische Fundamentalismus, dessen Einfluss auf die gesellschaftliche Situation sich seit den 1970er-Jahren laufend verstärkt, betrachtet Nichtmuslime neuerlich als Bürger zweiter Klasse." Die radikale Al-Kaida provozierte mit ihren Anschlägen eine Reaktion des Westens, die den Graben vertiefte, wie Chorherr ausführt: "Die Ausrufung des Kampfes gegen den Terror (War on Terror) des amerikanischen Präsidenten George W. Bush nach dem 11. September 2001, in der er sich gelegentlich auch der Kreuzzugsrhetorik bediente, wurde von vielen Muslimen als Kriegserklärung gegen die islamische Welt verstanden: eine Sichtweise, die islamisch-fundamentalistische Bewegungen gerne propagierten und der Bevölkerung geradezu einhämmerten."

Dazu kommt eine scharfe Ablehnung des Lebensstils in der westlichen Welt, und die Folgen tragen die Christen im Orient. Das islamische Recht, die Scharia, bekommt eine immer gewichtigere Rolle. Öffentlich eine andere Religion als den Islam zu praktizieren, ist in manchen Staaten unmöglich, eine Konversion vom Islam zu einer anderen Religion bedeutet meist soziale Ächtung, wenn nicht staatliche Bestrafung, unter Umständen sogar mit dem Tod.