"Wiener Zeitung": Sie haben eine große Bandbreite an medizinischen Ausbildungen, waren in verschiedensten ärztlichen Funktionen tätig. Sie waren auch Wahlarzt, und als "Tankstellenarzt" sind Sie zum vermutlich bekanntesten Privatarzt Wiens geworden. Warum wollen Sie kein Kassenarzt sein?
Dieter Zakel: Der Unterschied ist wie Tag und Nacht. Für den Wahlarzt gibt es keine Fesseln, er kann uneingeschränkt jene Medizin betreiben, die er im Sinne seines Patienten für richtig hält. Als Kassenarzt kann man das nicht. Man wird mit Bürokratie zugemüllt und hat zu wenig Zeit für den Patienten. Ich würde sagen: 60 Prozent Bürokratie, 40 Prozent Therapie. Und das Ganze für 2 Euro und 50 Cent. Da kommt eben heraus, was wir tagtäglich beobachten können: Warteschlangen, volle Wartezimmer, unzufriedene Patienten, kein Arztkontakt, Rezepte schreiben - die üblichen Phänomene.
Leasingraten, Mieten, Personalkosten, Fortbildung, Ärztekammer-Beiträge, Sozialversicherungsbeiträge, Beiträge für die gewerbliche Wirtschaft, Steuern - das muss alles bezahlt werden. Und um das zu bezahlen, muss man einen entsprechenden Umsatz machen, und das geht nicht mit hundert Patienten, dafür braucht man tausend. Und wenn man alles abgerechnet hat, bleiben dem Arzt 3000 Euro für eine 60-Stunden-Woche. In den Krankenhäusern war es ja noch ärger, da wurde bis zu 100 Stunden gearbeitet. Und wenn sich Ärzte dagegen wehren, stellt man sie als geldgierige Ratten dar.
Der Wahlarzt-Boom hat allerdings auch mit Geld zu tun. Unsere Daten zeigen: die Privatmedizin folgt dem Geld. Je reicher ein Bezirk, umso mehr Wahlärzte gibt es.
Ist ja logisch. So mancher geht ja nicht einmal zum normalen Arzt, geschweige denn zum Wahlarzt, weil ihm Gesundheit nicht wichtig ist. Manche geben ihr Geld lieber für ein neues Auto aus. Und wenn ihnen dann wirklich etwas fehlt, gehen sie ins Spital. Dann gibt es wieder dort die Schlangen. Der Patient hat eigentlich nichts zu sagen in diesem System. Es gibt keinen Wettbewerb. Der Gesundheitsbereich wird von Kartellen regiert, von Selbstverwaltungskörpern, denen die Patienten ausgeliefert sind. Aber bei der Privatmedizin heißt es immer gleich: Zwei-Klassen-Medizin! Es gibt aber jetzt schon mehr Wahlärzte als Kassenärzte. Und das deshalb, weil die Patienten sich dafür entscheiden: Da kriegst du einen besseren Service, der Arzt hat mehr Zeit. Kein Wunder, dass es einen Wahlarzt-Boom gibt.
Sie glauben also, dass die Medizin unter marktliberalen Bedingungen besser funktionieren würde?
Medizin sollte keine staatliche Leistung sein, das ist Blödsinn. Gesundheit ist an sich etwas Privates. Und weil es eine staatliche Leistung ist, absentiert sich jeder von seiner Gesundheit und beschäftigt sich nicht damit. Wenn der Arzt oder das Krankenhaus alles für mich erledigen, muss ich selber nicht nachdenken. Es gibt keine Zwei-Klassen-Medizin in Österreich. Es gibt eine Acht-Millionen-Klassen-Medizin. Einer geht in Fitness-Center, einer geht Bergsteigen, einer geht ins Wirtshaus und trinkt vier Bier und raucht vierzig Zigaretten.
Da reden wir aber doch von Vorsorge, nicht von Medizin! Jeder ist mit einer anderen DNA ausgestattet, anderen Umwelteinflüssen ausgesetzt, Gesundheit ist ja doch nicht nur eine Sache des freien Willens?
Ja, aber es fehlt der äußere Zwang, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Wenn das maximale Schadenereignis eingetreten ist, dann schreien alle: Ich habe eingezahlt, das steht mir zu. Zivilisationskrankheiten zum Beispiel haben mit Bewegungsmangel und falscher Ernährung zu tun. Das könnte wirklich jeder selbst kontrollieren.
Im Mutterland der Privatmedizin, in den USA, wurde gerade mit viel Aufwand "Obamacare" eingeführt, eine staatliche Krankenversicherung. Ein Irrweg aus ihrer Sicht? Irgendwann erkrankt man vielleicht doch ernsthaft, und dann ist doch ein gut aufgesetztes System nicht abwegig?
Abgesehen davon, dass "Obamacare" nicht funktioniert: Man kann so ein System sicher kostengünstiger organisieren. Die Menschen ticken anders, als die Politiker glauben. Deshalb funktioniert ja auch nichts, oder höchstens überteuert. Je mehr man ein System zu steuern versucht, desto mehr Unordnung bringt man hinein, weil man das Preissignal zerstört.
Ich darf Sie einen neoliberalen Arzt nennen, der an die unsichtbare Zauberhand des Marktes glaubt, die auch im medizinischen Bereich selbsttätig zu optimalen Bedingungen führt?
Das kann sich keiner vorstellen, wie so eine unsichtbare Hand wirkt. Es geht um Millionen von individuellen Entscheidungen, die am Ende das Gesamtbild prägen. Es ist eine Hybris, dass Politiker glauben, sie könnten das steuern. Fixe Regeln, an die sich jeder hält, mehr braucht es nicht.
Die Regeln machen dann aber doch wieder Politiker. Aber zurück zur Medizin. Wenn man Versicherungssysteme allzu sehr an die individuellen Wünsche anpasst, entstehen Lücken.
Aber immerhin kann man sich selbst entscheiden, und das sollte auch so bleiben. Wenn man jetzt das Nichtrauchen zur Pflicht macht und die vegane Ernährung propagiert, rebellieren die Leute. Sie wollen das nicht. Wenn ich alles versichere, zahle ich eine Lawine. Wenn ich mich nur gegen Elementarereignisse versichere - zum Beispiel Nierenversagen, schwere Unfälle, Polytrauma - versichere, genügt das doch auch. Dann gibt es eben unterschiedliche Packages. Man setzt ja überall auf Auswahl. Warum ausgerechnet in der Medizin ein Standardprodukt funktionieren soll, hat mir noch niemand erklären können.
Zurück zu ihrem Produkt, der Tankstellen-Ordination in der Krottenbachstraße. Woran ist das gescheitert?
Gescheitert ist die Praxis nicht. Sie war sehr erfolgreich. Ich hatte einen Testrahmen von drei Monaten, um das Produkt auf den Markt zu bringen. Die Patienten sind gekommen. Das Problem war nur: Ich habe niemanden gefunden, der mich vertritt. Auf Dauer kann man das alleine nicht machen. Jene 10 Prozent der Ärzte, die ein unternehmerisches Gespür haben, haben meist schon eine Praxis. In Österreich ist der Markt dafür noch nicht reif. Es gibt viele bürokratische Hindernisse. In den USA hat WalMart in Supermärkten ein medizinisches Low-Level-Angebot eingerichtet, ähnlich wie Autoreparatur-Werkstatt. Den Arztbesuch kann man in so einem Rahmen schnell und unbürokratisch abwickeln.
Weshalb haben Sie Ihre Tankstellenordination geschlossen?
Mit einer Vertretung hätte ich sie weiter betreiben können. Ich war schon mit deutschen Personalvermittlern in Kontakt, um mit deutschen Kollegen zu arbeiten. Aber dann kam das Angebot eines großen internationalen Konzerns, der sich darauf spezialisiert hat, westliche Medizin für Arbeiter aus dem Westen zur Verfügung zu stellen. Derzeit bin ich in Mossul, bald geht es nach Papua-Neuguinea.
Ihre Tankstellen-Ordination war von 6 bis 22 Uhr geöffnet. Waren Sie durchgehend vor Ort?
Ja, durchgehend.
Wie hält man das aus?
Das Produkt lebt davon, dass die Patienten nicht nachschauen müssen, von wann bis wann die Ordination geöffnet ist, sondern dass sie immer hinkommen können. Dazu ist es eben notwendig, dass man immer dort ist.
Kamen die Patienten vor allem wegen dieser unkonventionellen Ordinationszeiten zu Ihnen?
An Wochenende kamen natürlich mehr Patienten, vor allem die, die nicht stundenlang im Spital sitzen wollten. Unter der Woche waren die Peaks um 14 und um 18 Uhr. Und es gab Patienten, die immer wieder kamen, zum Beispiel vor einer Operation. Oder solche, die sich eine zweite Meinung einholen wollten.