Zum Hauptinhalt springen

Timoschenko nutzt Prozess als Bühne - Janukowitsch kommt unter Druck

Von Gerhard Lechner

Europaarchiv

Orange Ikone in Kiew vor Gericht. | Präsidenten droht politische Blamage.


Kiew. Ob Wiktor Janukowitsch wusste, auf was er sich da einließ? Gerüchten zufolge soll es schließlich der ukrainische Präsident gewesen sein, der den Wink gab, Ex-Premierministerin Julia Timoschenko den Prozess zu machen. Mit einer Verurteilung der ehemaligen Ikone der Orangen Revolution wäre immerhin die gefährlichste Rivalin Janukowitschs von der politischen Bühne verbannt.

Doch der Prozess - von einem unerfahrenen Richter geleitet und in einem viel zu engen Saal durchgeführt - erweist sich für die Oppositionsführerin als politischer Jungbrunnen: Sie nutzt ihre Auftritte für Anklagen gegen Janukowitsch und das Justizsystem, in das ohnehin nur wenige Ukrainer Vertrauen haben. Timoschenko weigert sich, sich vor Gericht zu erheben und blickt überhaupt mehr in die beigestellten Kameras als zu dem erst 32-jährigen, sichtlich nervösen Richter. Beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat sie eine Klage wegen gesetzwidriger Strafverfolgung eingereicht.

Tatsächlich wirken die Vorwürfe gegen die 50-Jährige ziemlich konstruiert: Laut Anklage soll die Ukraine durch den von Timoschenko 2009 ausverhandelten Gas-Deal mit Russland hunderte Millionen Euro verloren haben. Beobachter verweisen allerdings darauf, dass das Land im Gasstreit kaum über Alternativen verfügte. Wenn schon ein Prozess gegen Timoschenko, argumentieren sie, dann eher über ihre Rolle in den 90er Jahren. Damals soll sie beim Gastransit mitgeschnitten haben und so zu ihrem Reichtum gelangt sein. Dass sie damit innerhalb der Elite als schwarzes Schaf dasteht, glaubt aber kaum jemand in der Ukraine.

Mit seiner Zusicherung, den Prozess öffentlich zu führen und im TV zu übertragen, hat Janukowitsch der medienerprobten Rivalin in die Hände gespielt. Wandert Timoschenko ins Gefängnis, gefährdet das den Europa-Kurs der Regierung. Wird Timoschenko freigesprochen, hat sich der Präsident blamiert. Man vermutet daher in Kiew, dass der Prozess mit einer „mittleren Lösung” endet, etwa einer Bewährungsstrafe. Das hätte für Janukowitsch den Vorteil, dass seine Rivalin damit nur noch Parteichefin sein könnte. Ein Sitz im Parlament wäre ihr mit einer Vorstrafe nämlich verwehrt.