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"Die FDP ist am Ertrinken und reagiert daher nicht mehr rational"

Von Klaus Huhold

Europaarchiv
Langguth: "Merkel wird für Dinge verantwortlich gemacht, die sie gar nicht verursacht hat."

Politologe Gerd Langguth über den Zustand der Koalition in Deutschland. | "Vorgezogene Wahlen würden zum Selbsterdolchen der FDP führen."


"Wiener Zeitung": Welche Strategie steckt hinter der plötzlichen Offensive der FDP beim Euro-Thema?Gerd Langguth: Es ist der verzweifelte Versuch, ein neues Thema zu finden, nachdem die FDP festgestellt hat, dass die Überlegungen zur Steuersenkung keine durchschlagende Idee mehr sind.

Ist die FDP schon so ein Unsicherheitsfaktor, dass sie die deutsche Koalition platzen lassen könnte?

Theoretisch könnte sie das, aber eigentlich sollten die Liberalen kein Interesse daran haben. Vorgezogene Wahlen würden ja zum Selbsterdolchen der FDP führen. Außerdem ist der Weg zu vorgezogenen Wahlen in Deutschland sehr schwierig. Da müsste auch der Bundespräsident (Christian Wulff, Anm.) mitspielen. Ich habe Zweifel, dass es so weit kommt.


Aber ist die FDP nicht auch intern so zerstritten, dass sie selbst vielleicht keine einheitliche Linie mehr findet?

Ja. Die FDP liegt derzeit unter der Fünf-Prozent-Hürde. Sie ist am Ertrinken und reagiert daher nicht mehr rational. Das ist die Gefahr, die derzeit von ihr ausgeht.


Macht das auch Kanzlerin Angela Merkel handlungsunfähig?

Der Zustand der FDP erschwert ohne Zweifel Merkels Handlungsfähigkeit. Hinzu kommt auch noch die Einkreisung durch die CSU. Denn im Grunde hat ja deren Vorsitzender Horst Seehofer vergleichbare Positionen mit FDP-Chef Philipp Rösler.

Wie ist das Verhalten der CSU zu erklären?

Die CSU hat immer wieder populistische Anwandlungen, und das gehört da dazu. Aber auch sie dürfte im Moment kein Interesse an vorgezogenen Wahlen haben.

Nun wurde die SPD mit Bürgermeister Klaus Wowereit an der Spitze erneut stimmenstärkste Partei in Berlin. Könnte Wowereit zum Kanzlerkandidaten werden?

Diese Überlegungen sind mit der Berlin-Wahl ad acta gelegt. Er hat Stimmen verloren und ist alles andere als ein strahlender Sieger.

Ist also der ehemalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, dem ja eine hohe Wirtschaftskompetenz zugesprochen wird, der logische Kandidat?

Steinbrück hätte klare Vorteile. Die Deutschen wählen aber eher Parteien als Personen. Da kann Steinbrück noch so ein gutes Image haben, wenn das die SPD nicht hat, dann wird das für Steinbrück eine schwere Wanderung.

Wird die Euro-Krise das beherrschende Thema in Deutschland bleiben?

Ja. Aber Merkel wird hier für Dinge verantwortlich gemacht, die sie selber gar nicht verursacht hat. Dass keine Sicherungen für den Euro eingebaut wurden, geht noch auf die Ära von Helmut Kohl zurück. Und die Aufnahme Griechenlands in die Euro-Zone hat Gerhard Schröder zu verantworten.

Macht Merkel aber nicht auch den Eindruck, dass sie derzeit nur reagiert und keinen Weg vorgibt?

Das Problem ist, dass keiner weiß, wie die Lösung ausschauen soll. Es gab noch keine vergleichbare wirtschafts- und finanzpolitische Situation. Deshalb ist es schwer, hier überhaupt eine Lösung anzubieten.

Wird die Euro-Krise auch die nächste Bundestagswahl entscheiden?

Sie kann womöglich die gleiche Bedeutung haben wie das Reformpaket Agenda 2010 für die Schlussphase von Schröder.

Gerd Langguth, geboren 1946, lehrt Politikwissenschaft an der Universität Bonn. Er hat zudem
eine Biografie über Angela
Merkel verfasst.