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"Demokratie ist schlecht für das Wirtschaftswachstum"

Von Reinhard Göweil

Europaarchiv

Die Welt kritisiert das Schneckentempo in Europa - mit 27 Parlamenten geht es aber nicht schneller.


Wien. Die "Multi-Krise" in Europa bedroht das weltweite Wachstum. Die USA, China, Indien, aber auch die Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds kritisieren die langsamen politischen Entscheidungen in der EU. Das Schneckentempo führt zu höherer Arbeitslosigkeit, lässt Aktienkurse abstürzen und erhöht die Schuldenberge. "Demokratie ist schlecht für das Wachstum", sagt ein hoher Weltbank-Manager. Da klingt sarkastisch, ist aber zum Teil wohl ernst gemeint.

In der Tat hat die Globalisierung die Welt stärker vernetzt, als es nationale Politiker wahrhaben wollen. Als der grüne Abgeordnete Werner Kogler im Finanzausschuss des österreichischen Nationalrates die Weiterleitung des Regelwerks für den "Europäischen Stabilitätsmechanismus", der ab 2013 gelten soll, verhinderte, knickte in New York die Börse ein. Als der deutsche Wirtschaftsminister und glücklose FDP-Obmann Philipp Rösler die neue EU-kritische Richtung seiner Partei ausrief, brachen die Börsen ein, Banken verloren Milliarden an Börsewert.

"Vielen nationalen Politikern ist nicht klar, dass sie von Finanzmärkten als europäische Gremien wahrgenommen werden", klagt ein europäischer Zentralbanker. Daher wird die Forderung erhoben, aus der EU die "Vereinigten Staaten von Europa" zu machen, mit einer zentralen Exekutive - etwa in der Steuer- und Wirtschaftspolitik. Der Papierform nach wäre das die EU-Kommission, doch die hat bloß Vorschlagsrecht: Ihre Richtlinien müssen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten in nationales Gesetz gegossen und beschlossen werden.

Ein Beispiel: Wenn die EU nun eine Finanztransaktionssteuer einführen will, dann genügt es nicht, dies vom Europäischen Parlament ratifizieren zu lassen (wo es vermutlich eine Mehrheit gibt). Wenn ein Land nein sagt, ist die Sache geplatzt. Großbritannien sagt nein.

Die endlosen Debatten seit dem Frühjahr 2010 über die Rettung Griechenlands haben - so die Einschätzung des Währungsfonds - das Problem eher noch verschärft und die Kosten dafür in die Höhe getrieben.

Nationale und regionale Parlamente klammern sich aber an ihre Macht. Zwar sind die Tagesordnungen der Landtage in Österreich dünn geworden, aber es gibt sie. "Europa braucht eine stärkere politische Vernetzung", räumt Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble ein. Dazu müsste aber der Lissabon-Vertrag geändert werden. In vielen EU-Ländern ist dafür die Zustimmung mittels Referendum notwendig. Chance auf Umsetzung daher: gleich null. "Die Finanzkrise könnte zur Demokratiekrise werden", warnt der Investor und Philanthrop George Soros.