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Belgischer König will Regierung noch retten

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Keine Regierung seit 528 Tagen, wirtschaftlicher Druck wächst.


Brüssel. In Belgien liegen wieder einmal die Nerven blank. Schuld ist ausnahmsweise nicht der Sprachenstreit, sondern der dringend notwendige Sparkurs. Noch vor gut einem Monat schien alles auf eine Sechs-Parteien-Koalition unter dem wallonischen Sozialisten Elio Di Rupo hinauszulaufen. Derzeit versucht ihn König Albert II. dagegen zu überzeugen, die Flinte nicht ganz ins Korn zu werfen. Genau 528 Tage nach den letzten Wahlen im Juni 2010 geraten die längsten Regierungsverhandlungen der Welt wieder zur Zitterpartie: Trotz wochenlanger intensiver Bemühungen war es bisher nicht möglich, ein Sparbudget für 2012 zu vereinbaren.

Während die Sozialisten aus beiden Landesteilen mit Unterstützung der jeweiligen Christdemokraten eher auf Steuererhöhungen setzen, fordern die beiden liberalen Parteien striktere Einsparungsmaßnahmen. Noch bis heute, Mittwoch, wollte der König alle Parteiführer einzeln ins Gebet nehmen, um sie auf einen Kompromisskurs einzuschwören.

Denn langsam läuft sogar den Belgiern die Zeit davon. Weil sie traditionell entlang der Sprachgrenze zwischen Flandern im Norden und der frankophonen Wallonie im Süden gespalten sind, haben sie mit langwierigen Regierungsbildungen zwar Erfahrung. Diesmal droht das Land aber im Fahrwasser der Wirtschaftskrise abzustürzen. Schon nähert sich Belgien erneut einem Schuldenberg in der Höhe von mehr als 100 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung, für frisches Geld am Kapitalmarkt waren gestern, Dienstag, bei zehnjähriger Laufzeit alarmierende fünf Prozent Zinsen fällig. Die EU-Kommission hat dem Land bereits eine Frist bis Mitte Dezember gesetzt, um das Budget fürs nächste Jahr endlich vorzulegen. Ansonsten würde umgehend ein EU-Strafverfahren eingeleitet. Denn das Budgetdefizit hätte gemäß dem Eurostabilitätspakt unter drei Prozent des BIP ankommen sollen, aktuell wären es für 2012 aber 4,6 Prozent.

11 Milliarden Euro fehlen im Staatsbudget

Daher suchen die sechs Parteien im kommenden Budget bisher erfolglos nach 11,3 Milliarden Euro, die eingespart und/oder zusätzlich eingenommen werden müssen. Dabei handelt es sich um rund fünf Prozent des gesamten Haushalts. Der Wahlsieger vom Juni 2010, Bart De Wever von der separatistischen Neuen Flämischen Allianz (N-VA), hat bereits die Bildung einer Notregierung unter seiner Führung angeregt. Auch ein Expertenkabinett nach dem Muster von Griechenland und Italien war im Gespräch. Von einem solchen wird das Land aber de facto bereits seit fast eineinhalb Jahren regiert - Premierminister Yves Leterme wurde 2010 zwar abgewählt, führt aber seither mit seiner alten Ministerriege die Geschäfte. Inzwischen reichte es dem flämischen Christdemokraten aber - zu Jahresende will er zur OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wechseln.

Weil Di Rupo selbst bei den Verhandlungen beim Sparbudget schon große Fortschritte gemacht haben soll, wurde erwartet, dass König Albert II. noch einmal auf ihn als Regierungsbildner setzt. Schließlich hatte der Wallone erst vor gut einem Monat das schier Unglaubliche zustande gebracht und die beiden großen belgischen Regionen das erste Mal seit 40 Jahren auf eine Staatsreform eingeschworen. An der Reform des einzig gemischtsprachigen Wahl- und Gerichtsbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde waren zuvor binnen weniger Jahre drei Regierungen inklusive jener von Leterme gescheitert. Zudem sollen Flandern und Wallonien mehr Kompetenzen im Steuer- und Sozialbereich von der Föderalen Regierung in Brüssel übertragen bekommen, die Transferleistungen vom wohlhabenderen Norden in den ärmeren Süden sukzessive reduziert werden. Schon daran waren vor Di Rupo zahlreiche Verhandler entnervt gescheitert. Erstmals steht nur noch ein Sparbudget und nicht der Sprachenstreit der künftigen Regierung im Weg.