Zum Hauptinhalt springen

Der Schattenmann im Kreml

Von WZ-Korrespondentin Inna Hartwich

Europaarchiv

Nach vier Jahren als russischer Präsident ist Dmitri Medwedews Bilanz mager.


Moskau. Es war im September. Ein grauer Tag in Moskau, ein Parteitag, der das große Land ins Wanken brachte, wenn auch nicht sofort. Dmitri Medwedew, Russlands 46-jähriger Staatschef mit dem Lausbubengesicht, ging als Präsident hinein. Als Noch-Präsident kam er heraus. Sein politisches Ende.

Seit Medwedew ganz demütig an jenem 24. September 2011 die Macht an den Premier Wladimir Putin übergab, zeigt sich all das offen, was in den vier Jahren seiner Amtszeit immer wieder gemunkelt, vermutet, gesagt worden war: Medwedew ist lediglich der Platzhalter für seinen Vorgänger, der Schattenmann Putins, das schwache Glied auf dem Tandem von Russlands gelenkter Demokratie. Von Tag zu Tag wurde es stiller um ihn, den formal immer noch wichtigsten Mann im Lande. Die Bilder - im Fernsehen wie auf der Straße - gehörten dem Premier: Putin in den Nachrichten, Putin in den Zeitungen, Putin in Sträflingskleidung auf den Plakaten der Demonstranten oder auf Videos im Internet. Putin machte Wahlkampf. Medwedew erzählte derweil Siebentklässern in Tscheboksary, 600 Kilometer östlich von Moskau, wie gerne er Lehrer geworden wäre, oder erweiterte den Zuständigkeitsbereich des Oberhaupts der autonomen Republik Tuwa in Südsibirien.

Dabei hatte der unbekannte Professorensohn aus St. Petersburg so viele Hoffnungen geweckt - auf die Öffnung des Landes, auf Reformen, das Ende der Korruption und den Anfang des Rechtsstaates. Mit einem solchen Programm war er am 7. Mai 2008 angetreten. Mit dem Satz "Freiheit ist besser als Unfreiheit" hatte er sich drei Monate zuvor Wirtschaftsführern in Sibirien präsentiert. Doch er war von Anfang an ein Staatschef von Putins Gnaden.

Medwedew Ankündigungen waren forsch, sie überzeugten seine Landsleute und den Westen. Der Jurist galt zwar als schwächlich, aber doch als der freiheitlichere Mann an der Spitze. Einen Bruch mit seinem politischen Ziehvater hat er aber nie gewagt. Medwedew veranlasste die Zeitumstellung, die Einführung von Energiesparlampen und die Senkung der Prozenthürde bei den Parlamentswahlen. Doch die Korruption wuchert immer noch vor sich hin, die Justiz ist keineswegs unabhängig geworden, sodass die Bürger Vertrauen in sie fassen könnten. Von Modernisierung wird weiterhin gesprochen, doch sie hat bei Wachstumsraten von vier Prozent noch große Lücken. Das politische System wurde lediglich kosmetischen Änderungen unterzogen. Eine magere Bilanz.

Medwedew soll nun - wie auf dem September-Parteitag vorgesehen - Premier werden. Er würde damit in der administrativen Versenkung verschwinden. Die typischen russischen Machtstrukturen wären so wiederhergestellt: mit nur einem mächtigen Mann an der Spitze und ohne Spielchen mit irgendwelchen Tandemfahrern.