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Zerstrittener Staat am Tropf der internationalen Gemeinschaft

Von Alexander Dworzak

Europaarchiv
Dayton-Abkommen zwischen den Präsidenten Bosniens, Kroatiens und Jugoslawiens (v.l.n.r.) zementierte Bosniens Probleme ein.

Mitgliedschaft in der EU einzige Perspektive für Bosnien-Herzegowina.


Sarajevo. Politisch, wirtschaftlich und sozial hat sich Bosnien-Herzegowina auch knapp 17 Jahre nach dem Krieg nicht erholt. Dem Land bietet sich nur eine Perspektive: die Mitgliedschaft in der EU. Es ist somit von der internationalen Gemeinschaft abhängig - die gleichzeitig viele Probleme Bosniens mitzuverantworten hat.

Kern der Malversationen ist das 1995 geschlossene Abkommen von Dayton. Zwar beendeten Serben, Kroaten und die muslimischen Bosniaken dadurch den Krieg im Land. "Mit dem darauf aufbauenden ethnischen Prinzip schrieben sie und die am Abkommen beteiligten Länder, darunter die USA, Russland und Deutschland, die Probleme zwischen den Volksgruppen fest", erklärt Politologe Vedran Dzihic im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Bosnien-Herzegowina wurde in zwei weitgehend autonome Staaten unterteilt, die von Serben dominierte Republika Srpska sowie die bosniakisch-kroatische Föderation. Letztere teilt sich nochmals in zehn Kantone, in denen wiederum eine Ethnie dominiert. Resultat: Knapp 140 Minister amtieren derzeit in Staatsregierung, Entitäten und Kantonalregierungen - in einem Land mit rund 4,5 Millionen Einwohnern. Erschwerend kommt hinzu, dass politische Reformen die Zustimmung aller drei Volksgruppen benötigen; die in der Praxis kaum erzielt wird.

Angst verbreiten

Und auch wenn sich Serben, Kroaten sowie Bosniaken einen Staat gewaltfrei teilen, die Wunden des Krieges bleiben offen. "Das Dayton-Abkommen hat die nationalistischen Muster nicht nur fortgesetzt, sondern den ethnischen Faktor sogar potenziert", resümiert Dzihic, Südosteuropaexperte an der Universität Wien. Die Parteien trennen weniger ideologische Unterschiede als die Ethnie. Das Schüren von Angst vor der anderen Volksgruppe stünde demnach im Vordergrund.

Politische Erfolge hat die Regierung des Landes kaum vorzuweisen: 15 Monate rang man nach den Wahlen im Oktober 2010 um die Bildung einer neuen Führung. Der seit Anfang des Jahres amtierende Premier Vjekoslav Bevanda möchte das Land nun in Richtung EU steuern. Voraussetzung dafür ist die Umsetzung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Über eine Lösung konnten sich Bosniens Politiker bislang nicht einigen. Somit bleibt das Land der einzige Staat des westlichen Balkans, der sich noch nicht um den EU-Kandidatenstatus beworben hat.

Nachzügler Bosnien

Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union sei die einzige Option für Bosnien-Herzegowina, analysiert Vedran Dzihic. Denn nur die Aussicht auf die EU und ihre Fördertöpfe würde die zerstrittenen Politiker zum Aufweichen ihrer gegenseitigen Blockade bewegen. In den Entwicklungen der Nachbarstaaten sieht der Politikwissenschaftler eine für Bosnien günstige Perspektive: Kroatien wird aller Wahrscheinlichkeit nach Mitte 2013 Mitglied der Union. Auch Serbien ist mittlerweile auf einen Pro-EU-Kurs umgeschwenkt. Selbst ein Sieg der oppositionellen Serbischen Fortschrittlichen Partei des einstigen Ultranationalisten Tomislav Nikolic bei der Wahl am 6. Mai würde keinen Kurswechsel bedeuten, so Dzihic. Blieben noch die Störfeuer von Milorad Dodik. Der Präsident der bosnisch-serbischen Republika Srpska droht regelmäßig mit der Sezession des Landesteils.

Als politisches Korrektiv der gespannten innenpolitischen Lage gilt das Amt des "Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina" - auch eine Folge des Dayton-Abkommens. Er kann theoretisch demokratisch gewählte Amtsträger entlassen, Gesetze erlassen und neue Behörden schaffen. Realpolitisch hat das Amt aber seit einiger Zeit an Einfluss verloren. Hinzu kommt ein "Tauziehen" um dessen völlige Abschaffung: "Während sich die USA vehement dagegen aussprechen, plädiert etwa Deutschland dafür. Österreich ist noch unschlüssig; in der Sache aber Deutschland näher. Andererseits bekleidet mit Valentin Inzko ein österreichischer Diplomat das Amt", sagt Politologe Vedran Dzihic.

Wirtschaft am Abgrund

Angesichts der verheerenden politischen Lage ist das Vertrauen der Bürger in ihre Mandatare erschüttert. Sie sind nicht in der Lage, die wirtschaftliche Situation des Landes zu stabilisieren oder gar zu verbessern. Die Arbeitslosenrate liegt bei rund 40 Prozent. Im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise kürzt auch Bosnien seine Budgets im Sozialbereich und im Bildungswesen. Viele Sozialhilfeempfänger sind von den Maßnahmen betroffen, auch die zahlenmäßig starken Veteranenverbände.

Bereits im Juli 2009 erhielt Bosnien 1,15 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds. Die zweite Tranche wurde im März 2010 abgerufen. Das hohe Leistungsbilanzdefizit wird durch Transferleistungen von Exil-Bosniern abgefedert. Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex der NGO "Transparency International" lag Bosnien-Herzegowina 2010 im unteren Viertel der europäischen Länder, weltweit nur auf Platz 91.