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"Werden sie auf jeden Fall nicht sterben lassen"

Von Alexander Dworzak

Europaarchiv

Die Ukraine arbeitet an der totalen Demontage einer ehemaligen Polit-Ikone.


Kiew/Wien. Es war einmal ein politisches Märchen, und die Frau mit dem blonden Haarkranz gab die Prinzessin: Seit der "Orangen Revolution" 2004 genießt Julia Timoschenko europaweit große Sympathien. Ihre nunmehrige Haft bewegt Bevölkerung und Politiker - Letztere in den vergangenen Tagen sogar zum Boykott eines Treffens mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und zum Besuch des Co-Gastgeberlands der Fußball-EM.

Nun holt die Ukraine zum diplomatischen Gegenschlag aus. "Reale Fakten fordern die Änderung des Ikonenstatus" von Timoschenko, donnerte der Botschafter der Ukraine in Wien, Andrii Bereznyi, am Freitag. Der Hungerstreik der früheren Premierministerin aufgrund der aus ihrer Sicht schlechten Haftbedingungen habe die "Absicht, ihre Situation zuzuspitzen, um größeres Aufsehen zu erregen", teilte der Diplomat in einem vom Blatt gelesenen Kommuniqué mit. Überhaupt habe die jetzige Regierung von jener Timoschenkos ein "schwieriges Erbe" übernommen - konkrete Versäumnisse wurden nicht genannt.

Drohungen richtet die Ukraine nun gen Deutschland, dessen Präsident Joachim Gauck den politischen Stein ins Rollen gebracht hatte. "Deutsche Hersteller werden verlieren", so der Vize-Chef von Präsident Janukowitschs Partei zu "Spiegel Online". Denn ohne das bisher nur paraphierte Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine werde der deutsche Zugang zum dortigen Markt begrenzt sein. Die Ukraine sei weiter an einer baldigen Unterzeichnung des Abkommens interessiert, betonte Botschafter Bereznyi; Reformen in Gesetzgebung und Gerichtswesen stünden an.

Ein politisches motiviertes Verfahren wirft Timoschenko den Behörden vor. Seit 20. April befindet sich die Politikerin im Hungerstreik, leidet zudem an einem Bandscheibenvorfall. Zwangsernährung scheint nicht mehr ausgeschlossen: "Wir werden sie auf jeden Fall nicht sterben lassen", sagte ein Mitarbeiter des Gefängnisses in Charkow. Der Chef der Berliner Charite-Klinik ist am Freitag in die Ukraine gereist, um Timoschenko zu untersuchen. Angebote einer Verlegung nach Deutschland oder Russland hat die Ukraine mit Hinweis auf die Gesetzeslage abgelehnt; Häftlinge dürfen nur im Land betreut werden. Die Regierung prüfe dieses Thema aber gründlich, lässt Botschafter Bereznyi eine Hintertüre offen.