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Machtkampf im Vatikan

Von Rainer Mayerhofer

Europaarchiv

Enthüllungsaffäre rund um den Papst zieht immer weitere Kreise.


Vatikan. Die seit Monaten schwelende Enthüllungsaffäre rund um Papst Benedikt XVI., die am Donnerstag mit der Festnahme des päpstlichen Kammerdieners Paolo Gabriele einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, sorgte auch zu Wochenbeginn für heftige weitere Spekulationen. Aus vatikanischen Kreisen wurde dementiert, dass auch ein Kardinal oder eine Frau in die Affäre verwickelt seien. Die Zeitung "La Repubblica" berichtete, dass fünf Kardinäle von der Kommission befragt wurden, die vom Papst zur Ausforschung der Auftraggeber des Enthüllungsskandals eingesetzt wurde. Gegen die Kardinäle liefen aber keine Ermittlungen.

Der vatikanische Pressesprecher, Pater Federico Lombardi, sagte am Dienstag, dass der Papst eine Strategie der vollen Transparenz verfolge und sich der heiklen Situation bewusst sei, die die römische Kurie derzeit erlebt.

Kritik an unbegründeter Haft für Kammerdiener

Unterdessen wächst auch die Kritik an der Tatsache, dass der päpstliche Kammerdiener Gabriele seit fünf Tagen in Haft sitzt, ohne dass die Vorwürfe gegen ihn bekanntgegeben worden sind. In Italien darf ohne offizielle Bekanntgabe der Gründe niemand länger als 72 Stunden lang inhaftiert werden. "Wenn in einem westlichen Land eine Person verhaftet würde, weil sie den Medien wahre Informationen vermittelt hat, würden sofort Unterschriftensammlungen für ihre Befreiung beginnen, sagte der Journalist Gianluigi Nuzzi, der in seinem Buch "Sua Santità" (Seine Heiligkeit) angebliche Geheimdokumente aus dem Vatikan veröffentlicht hat. Im Vatikan geschehe das leider nicht. Die Ermittlungen gegen Gabriele sind absolut geheimnisumwoben.

Tauziehen um Vorgänge in der Vatikanbank

Während die Vatikan-internen Untersuchungen gegen Mittäter oder Auftraggeber des Kammerdieners weitergehen, wird immer offensichtlicher, dass es in den höchsten Kirchenkreisen einen heftigen Machtkampf gibt. Laut "La Repubblica" konzentriert sich jetzt alles rund um die Vorgänge in der Vatikanbank IOR (Istituto per le Opere di Religione - Institut für die religiösen Werke). Die IOR stand seit den 1970ern immer wieder wegen Verbindungen zur Mafia und Korruptionsaffären im Scheinwerferlicht. IOR-Präsident Ettore Gotti Tedeschi wurde vom Aufsichtsrat ebenfalls in der Vorwoche das Vertrauen entzogen.

Vatikan-Kenner sehen darin die Handschrift von Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone, dem die enge Verbindung Gotti Tedeschis zum Papst schon länger ein Dorn im Auge war. Laut einem Informanten von "La Repubblica" soll der Papst bei der Nachricht von der Absetzung Gotti Tedeschis geweint und wütend gewesen sein. Öffentlichen Widerstand habe er aber nicht geleistet, um einen aufsehenerregenden Bruch mit Bertone zu vermeiden, den er selbst im September 2006 in dieses Amt berufen hatte.

Gegen Staatssekretär Tarcisio Bertone, der in der Kurie auch für die Überwachung der Vatikanbank zuständig ist, baut sich im Kardinalskollegium eine mächtige Front auf. "la Repubblica" nannte am Dienstag den Kurienkardinal Mauro Piacenza, den Präfekten der Kongregation für den Klerus, den Präsidenten der italienischen Bischofskonferenz, den Genueser Kardinal Angelo Bagnasco, sowie den Erzbischof von Mailand Kardinal Ettore Scola und dessen Vorgänger, Kardinal Dionigi Tettamanzi als Gegenspieler Bertones. Kardinal Piacenza wird auch als möglicher Nachfolger Bertones gehandelt, falls dieser im vatikaninternen Machtkampf unterliegt.

Bertone war schon vor einigen Monaten in Turbulenzen geraten, als Briefe des derzeitigen Nuntius in den USA, Carlo Maria Vigano, auftauchten, in denen dieser in seiner Funktion als Generalsekretär des Governatorats der Vatikanstadt Korruptionsfälle angeprangert hatten. Vigano war im Oktober 2011 von Papst Benedikt XVI. zum Apostolischen Nuntius in den USA bestellt worden. Vatikan-Kenner sprachen schon damals von einer "ehrenvollen Abschiebung".