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"Wir sind keine Nationalisten"

Von Walter Hämmerle

Europaarchiv

2014 sollen Schotten über ihre Unabhängigkeit entscheiden.|SNP-Mastermind Angus Robertson im Interview zur Unabhängigkeitskampagne.


"Wiener Zeitung":Sollte ein guter Schotte eigentlich nicht derzeit in London sein, um der Queen zum 60. Thronjubiläum zuzujubeln?Angus Robertson: Natürlich gratuliere ich gerne Queen Elizabeth I von Schottland zu ihren Leistungen für die Gemeinschaft der 16 Commonwealth-Staaten, denen sie als Staatsoberhaupt vorsteht. Genauso wichtig ist aber auch meine Teilnahme an der Föderalismus-Konferenz in Wien, schließlich wird Schottland 2014 in einem Referendum über seine Unabhängigkeit von Großbritannien abstimmen.

Welche Argumente sprechen für eine Unabhängigkeit Schottlands?

Käme ich aus Dänemark, würden Sie mir diese Frage gar nicht stellen. Schottland ist, was die Fläche angeht, gleich groß wie Österreich und entspricht in punkto Einwohnerzahl Dänemark, Finnland, Norwegen oder der Slowakei. Deren Unabhängigkeit wird als Selbstverständlichkeit akzeptiert, warum gilt das nicht auch für Schottland? Es geht darum, dass alle wichtigen Fragen, die zu Hause gestellt werden können, auch tatsächlich zu Hause beantwortet werden. Das entspräche der Normalität, nur für Schottland gilt diese europäische Normalität nicht.

Was macht denn im 21. Jahrhundert eine Nation aus?

Nationale Identität hängt einzig und allein davon ab, ob die Menschen glauben, Teil einer eigenen Nation zu sein. Das ist kein Widerspruch zur Tatsache vielfältiger und überlappender Identitäten, auch in Schottland gibt es regionale Identitäten, und dennoch fühlen sich viele auch als Europäer. Schottland verfügt über eine eigene Fußball- und Rugby-Nationalmannschaft, wir haben eigene Kirchen und sogar eigene Pfundnoten; es gibt keinen Zweifel, dass Schottland eine eigene Nation ist.

Von Expertenseite heißt es, die Ära des Nationalstaats sei passé, die wichtigen Entscheidungen würden längst in Brüssel fallen. Was bedeutet dieses Streben nach nationaler Souveränität für die Zukunft der europäischen Integration?

Wichtig ist, dass sämtliche Entscheidungen demokratisch getroffen werden. Das muss - auf allen Ebenen - sichergestellt sein. Was das angeht, erlebt Europa aufgrund der Schuldenkrise in Südeuropa schwere Zeiten, sowohl Griechenland als auch Italien haben derzeit Regierungen, die von niemandem gewählt worden sind.

Welchen Kurs in der europäischen Integration würde ein unabhängiges Schottland verfolgen?

Wir wären auf jeden Fall kooperativer als Großbritannien heute. Anders als Großbritannien hat sich Schottland immer als europäische Nation verstanden, das wird auch so bleiben. Der Populismus, wie er mitunter in London in dieser Frage betrieben wird, ist nicht unsere Sache.

Was würde sich ändern, sollte eine Mehrheit der Bürger 2014 für die Unabhängigkeit Schottlands stimmen?

Wir Schotten würden in einem Land leben, das wirtschaftlich erfolgreicher ist, wir könnten uns in Nordeuropa und in der EU besser profilieren. Schottland wird derzeit von London aus regiert, und zwar von einer konservativ-liberalen Regierung, die nicht von den Schotten gewählt wurde. Die Tories haben in ganz Schottland nur einen einzigen Abgeordneten. Das wäre so, als ob Österreichs Regierung von Deutschland bestimmt würde. Ich mag die Engländer, aber ich will, dass Schottland über seine Angelegenheiten selber bestimmen kann.

Man muss auch fragen, warum Schottland der größte Ölproduzent Europas ist, aber gleichzeitig eine Kinderarmutsrate hat, die unerträglich hoch ist. Niemand hat uns gefragt, ob wir im Irak kämpfen wollen, ob wir Atomkraftwerke oder Nuklearwaffen auf unserem Boden haben wollen. Die Regierung in London trifft die falschen Entscheidungen für Schottland. Das ändert nichts daran, dass England für uns ein wichtiger Partner ist und natürlich auch bleiben wird. Profitieren von einem unabhängigen Schottland würde vor allem die Kooperation in Nordwesteuropa.

Wäre die Unabhängigkeit Schottlands auch dann ein Thema, wenn das Land nicht über ungeheure Öl- und Gasreserven verfügte?

Das kann niemand seriös beantworten. Faktum ist, dass Schottland derzeit nicht besonders von seinem Ölreichtum profitiert. Das sollte sich ändern.

Letzte Frage: Wäre die Queen auch im Falle der Unabhängigkeit schottisches Staatsoberhaupt?

Ja, ich denke schon, im Rahmen des Commonwealth. Und ich glaube, dass unser Verhältnis zu England insgesamt ein besseres wäre: Wir wären nicht länger die schlecht gelaunten Untermieter, wir wollen lieber die guten Nachbarn sein. Wir Schotten sind offene, freundliche Menschen, wir sind Weltbürger - von daher ärgert mich die deutsche Übersetzung meiner Partei: Wir sind keine Nationalisten.

Zur Person



Angus
Robertson

Der Klubchef der Schottischen Nationalpartei (SNP) in Westminster, Jahrgang 1969, organisierte die Wahlkämpfe 2007 und 2011 und leitet nun die Kampagne für das Referendum 2014. Zuvor arbeitete er zehn Jahre als Journalist in Wien.