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Bange Mienen in Londons City

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Europaarchiv

Osborne: Finanzsystem hat "Habgier über alles gesetzt".


London. So lange war die City of London der Neid der europäischen Nachbarn und vieler anderer Völker. Die alte britische "Square Mile", die zusammen mit Canary Wharf über 400.000 Menschen im Finanzbereich beschäftigt, ist noch immer das herausragende Finanzzentrum in Europa - und neben Wall Street der wichtigste Geldumschlagplatz der Welt. Schon seit Jahrhunderten drängen sich in diesem Teil Londons Banken und Handelshäuser. Seit der "Deregulation" des Finanzgewerbes im Jahr 1986 ist die City zur vorrangigen Drehscheibe des internationalen Kapitals geworden.

Mächtige Geldströme, begleitet vom feinsten Champagner, fließen durch die Straßen rechts und links von St. Paul’s. Für das Vereinigte Königreich ist die City, vor allem nach dem sukzessiven Einbruch der industriellen Basis der Nation, zum neuen Inbegriff britischer Wirtschaftskraft geworden. Mit der Kreditkrise vor fünf Jahren sind aber die ersten Zweifel aufgetaucht. Dass der Geldstrom, auf den das Land so angewiesen ist, auch einmal versiegen könnte, ist die untergründige Angst. In diesem Sommer fragt man sich in London erstmals offen, ob die City ihren Platz an der Spitze wohl auf Dauer wird halten können. Von innen wie von außen fühlt sich der große Finanzplatz an der Themse bedroht. Den jüngste Hieb hat dabei die "Libor-Krise" um Barclays dem Selbstvertrauen der "Quadratmeile" versetzt.

Trader und Manager der britischen Bank haben offenbar jahrelang heimlich die Libor-Rate - die Interbank-Zinsen - manipuliert. Barclays zufolge soll ein Vize-Gouverneur der britische Zentralbank, der Bank of England, dazu geraten haben. Nachlässige Aufsicht über das Finanzwesen hatte die empörenden Aktionen möglich gemacht. Angeblich sollen zahlreiche Banken in den Skandal verwickelt sein.

In dieser Woche hat Barclays "Libor-Skandal" die Bastion der City wie ein mittleres Erdbeben erschüttert. Bob Diamond, Barclays Boss, musste abtreten. Vor 18 Monaten noch, bei seinem Antritt, hatte Diamond großspurig erklärt, es sei höchste Zeit für Londons Banker, "Reue und ewige Entschuldigungen" für die Kreditkrise hinter sich zu lassen. Mittlerweile weiß Barclays kaum mehr, wie es der allerneuesten Reue glaubwürdig Ausdruck geben soll. Dem liberaldemokratischen Wirtschaftsminister Vince Cable zufolge haben die Aktionen der Barclays-Leute "eine massive Jauchegrube", "einen wahren Sündenpfuhl" im Herzen des britischen Finanzwesens enthüllt. Selbst Tory-Schatzkanzler George Osborne ist nun plötzlich der Ansicht, dass dieses Finanzsystem "Habgier über alles gesetzt und unsere Wirtschaft ins Knie gezwungen hat".

Sir Mervyn King findet, dass "etwas sehr falsch gelaufen" sei mit dem britischen Bankwesen. "Das Ganze reicht bis ins Geschäftsgebaren und in die Strukturen der Banken hinein", meint der Gouverneur der Bank von England. "Es geht um exzessive Entlohnung, schäbige Behandlung von Kunden, betrügerische Manipulation zentraler Zinssätze und nun auch noch um einen Skandal um irreführende Verkaufspraktiken." Letztere Bemerkung Kings zielte auf eine Reihe komplexer Finanzprodukte, die die vier großen britischen Banken 28.000 Kleinunternehmern zur Absicherung gegen Zinserhöhungen verkauften. Von Absicherung konnte leider keine Rede sein. Viele Betriebe gingen in der Folge pleite.

Unmut über Boni

Auch die unverminderte Selbstbewilligung astronomischer Boni und Spitzengehälter hat in letzter Zeit wieder eine Menge Unmut ausgelöst. In der Rezession verstehen viele Briten keinen Spaß mehr. Neue Enthüllungen über Steuerflucht und Steuervermeidungs-Strategien der Reichsten im Lande haben den Zorn zusätzlich genährt.

Dabei, grummeln die Unbemittelten, sei nicht mal elementarer Service für die, die es am dringendsten brauchen, garantiert. Zum Beispiel konnten kürzlich 13 Millionen Kunden der Royal Bank of Scotland und der NatWest-Bank wegen einer "Computerpanne" tagelang nicht mehr an ihr Geld kommen. Wie viel Vertrauen, fragen viele Briten, könne man denn Großbritanniens Finanzinstitutionen - und der City - noch entgegenbringen?

Angst vor der Konkurrenz

Auch in der City ist der Vertrauenseinbruch natürlich nicht unbemerkt geblieben. Die Korporation der City of London, die die Interessen der Finanzwirtschaft in der Square Mile vertritt, beginnt sich Sorgen um ihren Ruf zu machen. "Die jüngsten Vorgänge", meint Korporations-Chef Mark Boleat, "tun natürlich nichts fürs internationale Ansehen Londons. Sie spielen nur unseren Kritikern daheim wie im Ausland in die Hände."

Der "Sündenpfuhl" im Innern ist freilich nicht das einzige Problem für die City of London. Mit Besorgnis schaut man hinüber "nach Europa", wo sich mit Eurozonen-Plänen für Bankenunion und für fiskales Zusammenwachsen eine neue Realität anbahnt. Ein Teil der Experten in London geht davon aus, dass das monetäre Chaos jenseits des Kanals dem britischen Finanzzentrum Wettbewerbs-Vorteile verschaffen werden. Andere fürchten aber, dass Brüssel versuchen wird, auch London neue Regeln vorzuschreiben - und dass der City irgendwann womöglich eine gefährliche Rivalin ersteht, die langfristig zum neuen Fokus der internationalen Finanzwirtschaft werden könnte.