Wien. Sie ist nicht die jüngste Popsängerin, die ihre Memoiren schreibt. Der Titel gebührt schon Miley Cyrus, die bereits mit 15 ihre Lebensgeschichte diktierte. Conchita Wurst ist immerhin schon 26 Jahre alt, wenn sie nun ihre Autobiografie "Ich, Conchita" vorlegt. Eine neue Single, "You are unstoppable", gibt es auch, das lang erwartete Album soll im Mai folgen. Bevor sich die berühmteste österreichische Bartträgerin ein paar Monate zurückzieht, um die Platte fertigzustellen, sprach sie mit der "Wiener Zeitung" über das Auskosten von Chancen, die Wichtigkeit von Disziplin und Anwaltsbriefe.

"Wiener Zeitung": Jetzt wird es binnen Jahresfrist nach dem Song-Contest-Sieg doch noch etwas mit Ihrem Album. Warum hat es so lang gedauert, haben Ihnen die Songs, die vorgeschlagen wurden, alle nicht gefallen?
Conchita Wurst: Das hat viele Gründe. Wenn ich Demos bekomme, sind die vielleicht total gut, und dann sing ich sie und dann merkt man, öh, steht mir aber gar nicht. So schrumpft die Zahl der Songs, die man anfangs toll fand. Es ist ein ganz langer Prozess, auch bis die Songs, die mir dann stehen, tatsächlich zu meinen eigenen werden: Die werden umgetextet, das Tempo wird verändert, es wird adaptiert und angepasst. Und zum anderen wollte ich das tun, worauf ich Lust hatte. Ohne irgendjemandem Rechenschaft abzulegen, hab ich mir die Frechheit rausgenommen, nur das zu machen, was ich will.
Nach dem Prinzip "Carpe Diem" oder besser "Carpe Berühmtheit", die ja in Zeiten wie diesen recht flüchtig sein kann?
Ich glaube, dass in dieser Branche niemand vor diesem Gedanken gefeit ist. Ich glaube auch, dass Madonna dieser Tage mit einigen Chartplatzierungen vielleicht etwas unzufrieden ist. Natürlich hat man ein bisschen das Bewusstsein, Chancen wahrzunehmen, die sich gerade bieten, aber ich arbeite auch gegen den Trend und lasse mir wahnsinnig viel Zeit. Das ist mein Konzept, ob das aufgeht, werden wir irgendwann mal sehen.
Gegen den Trend ist ein gutes Stichwort. Sie haben gesagt, Sie hätten keinen "coolen" Musikgeschmack. Wie viele Zugeständnisse muss man machen in einem Geschäft, das die Popmusik nun mal auch ist?
Keine. Weil ich mit meinen Produzenten und Songschreibern auch Musikrichtungen kennenlerne, von denen ich nicht dachte, dass sie mir stehen. Der Song "Heroes" hört sich viel cooler an, als ich dachte, dass ich klingen kann. Wir haben auch Arrangements umgeschmissen, weil es viel schöner geklungen hat, wenn ich es nur zum Klavier gesungen habe. Am Ende zählt, was mir aus dem Herzen spricht, und ich bin davon überzeugt, dass man nur dann erfolgreich sein kann. Man kann das Publikum nicht belügen. Für mich ist der größte Schritt getan, wenn ich sagen kann: Ja, ich würde das Lied auch kaufen, wenn es nicht von mir wäre.
Vor einiger Zeit hatte Conchita Wurst noch eine erfundene Biografie, jetzt veröffentlicht Conchita ein Buch, in dem es um ihre Kindheit und Jugend als Tom Neuwirth geht. Stimmt die Beobachtung, dass sich die beiden Identitäten annähern?
Ich weiß es nicht, es machen sich alle mehr Gedanken darüber als ich, glaub ich.
Also ist es nicht so, dass die zwei ihren Frieden miteinander gemacht haben?
Die hatten immer Frieden miteinander. Ich genieße es, ein Privatleben zu haben. Und ich genieße, das zu machen, was ich jetzt hier mache. Das wenige Privatleben, das ich jetzt habe, ist viel intensiver, als es früher war. Jetzt mit meinen Freunden essen zu gehen, ist für uns alle etwas Besonderes. In meinem Privatleben existiert Conchita nicht. Am Ende ist es aber ein Herz und eine Stimme, die singt.
Ist Tom manchmal genervt von Conchita, wenn die ihn wieder im Hotelzimmer einsperrt?
Nein. Ich muss auch sagen, dass ich immer nach einer gewissen Zeit das andere vermisse.
Eine blöde Frage wahrscheinlich: Was steht in Ihrem Pass?
Naja, Tom Neuwirth natürlich. Thomas eigentlich.
Naja, Sie sind ja auch viel als Conchita unterwegs . . .
Ja, aber ich reise sehr sehr selten in Maske.
In Ihrem Buch wird ein Gedanke angerissen: Es sei bedauerlich, dass Vergnügen für uns nur mehr Zeitvertreib ist. Finden Sie, dass Unterhaltung heute zu flach ist?
Nein, das finde ich nicht. Es gibt Unterhaltungsformen, die leichter zu konsumieren sind als andere, und das hat seine Berechtigung. Auch was ich mache: Dieses Buch ist ja kein hochliterarisches Werk, meine Songs sind ja auch keine Koloraturarien. Wenn ich sage, dass Unterhaltung flach ist, ist das nicht zwingend etwas Negatives. Ich liebe es, Kommerzpop zu konsumieren. Aber es braucht auch die Ehrlichkeit, dass man sich selbst nicht zu ernst nimmt und die ganze Branche nicht so ernst nimmt, weil: Es ist immer noch Unterhaltung und keine Herzchirurgie.
Sie waren live dabei, als der deutsche Kandidat für den Song Contest 2015 hingeschmissen hat. Seine leise Begründung war, er sei nicht geschaffen dafür, denn er sei "nur ein kleiner Sänger". Nun muss man vielleicht nicht das ultimative Gesamtpaket sein wie Sie, aber ist es denn überhaupt noch möglich im Popgeschäft nur ein "kleiner Sänger" zu sein?