Wien. "Hello Austria, hello Vienna!" Unter Applaus begrüßt das Moderatorenpaar das Publikum beim traditionellen Prevoting zum Eurovision Song Contest 2015. Auf Einladung des Songcontest-Fanclubs OGAE Austria (Organisation générale des amateurs de l'Eurovision) sollen eingefleischte ESC-Liebhaber an diesem Abend alle Songs der 40 heuer teilnehmenden Nationen anhand der offiziellen Videoclips bewerten. Der Raum im "Gugg" in der Heumühlgasse ist bis auf den letzten Platz gefüllt, jeder Gast hält einen Bewertungsbogen mit der Liste der Länder und Startnummern in Händen.

Nach einem kollektiven "Freude schöner Götterfunken"-Summen zur Einstimmung stellen Karin Pointner und Mario Lackner die ersten Beiträge vor - sie im blitzblauen Abendkleid, mit schwedischem Akzent und Glitzerkrönchen, er im schwarzen Anzug und mit High heels. Ein bisschen Show muss sein.


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Österreichischer Song Contest-Fanclub
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Die technische Video-Panne gleich zu Beginn wird, "passend zum ESC-Motto 'Building Bridges'", mit Witzen und Fan-Interviews galant "überbrückt". Und dann ist der erste Beitrag auch schon "alive". Gevotet wird nach englischer alphabetischer Reihenfolge: von A wie Albanien bis UK wie Großbritannien. Österreich und "The Makemakes" sind damit schon als Vierter dran. Fan Stefan sagt dem heimischen Beitrag "I Am Yours" eine Wertung "zwischen 12. und 20. Platz" voraus. Er war bisher zweimal live beim Song Contest dabei, in Malmö und Düsseldorf: "Alle zwei Jahre gönne ich mir das. Ich mag die Internationalität, Skurrilität, das Außergewöhnliche, das mit dem Song Contest verbunden ist."

Song-Contest-Fan Michael ist für das Prevoting extra aus Salzburg angereist. Wie die meisten wahren Fans kennt er bereits alle 40 Beiträge, weil er seit 2007 jedes Jahr sämtliche nationalen Vorentscheidungen per Screening mitverfolgt: "Von Mitte Februar bis Mitte März sind alle Samstagabende damit ausgefüllt - manchmal sind es auch vier bis fünf Vorentscheidungen an einem Abend." Sein Favorit ist heuer zwar Slowenien, die Makemakes hätten als Salzburger Band in seiner Wertung aber klaren "Heimvorteil". Bei der Fan-Veranstaltung "Eurovision in Concert" in Amsterdam hat Michael die drei Bandmitglieder auch schon persönlich kennengelernt. Beim Song Contest in Wien wird er natürlich live dabei sein: "Beim zweiten Versuch hab ich's endlich geschafft, Karten für das zweite Halbfinale und das Jury-Finale zu bekommen." 180 Euro habe er dafür bezahlt, "500 bis 600 Euro wäre ich aber bereit gewesen, für Tickets auszugeben".

Im Publikum werden Bemerkungen zu den Songs auf der Leinwand gemacht, es wird bewertet, verglichen und ESC-fachgesimpelt. "Die Show war schlecht", sagt ein OGAE-Mitglied über die deutsche Vorausscheidung 2015. "Ja, aber Hut ab vor der Barbara Schöneberger - echt gut, wie die reagiert hat, als der Kümmert sagte, dass er aussteigt", lobt sein Nachbar. "Wenn die Zoe französisch gesungen hätte, hätte sie die Vorausscheidung gewonnen", hört man aus einer anderen Ecke. Viele Fans kritisieren, dass nicht mehr in der Landesprache gesungen wird. "Damit wird alles austauschbar", sagt ein Fan aus der Steiermark, der schon Song Contest schaut, "seit die Nicole 1982 gewonnen hat" . Hat er im Vorjahr mit dem Sieg von Conchita gerechnet? "Spätestens beim zweiten Semifinale habe ich auf sie getippt - ich hätte aber nicht gedacht, dass Europa für sie bereit ist."

"I'm a golden boy, come here to enjoy", tönt es als Refrain-Begleitung zum israelischen Beitrag lautstark aus den hinteren Reihen. Auch hier sind die heurigen Song-Contest-Lieder also schon bestens bekannt. Aber wie pickt man aus 40 Beiträgen, die irgendwann alle ähnlich klingen, die besten zwölf raus? "Jeder von uns hat schon vorher seine persönliche 12-points-Liste, die dann immer weiter verfeinert wird", erklärt ein Fan aus dem singenden Trio sein System. "Ich mache Kreuzerl bei denen, die ich gut finde, alle anderen lasse ich gleich weg. Kommen zwei schlechte Beiträge, ist man leicht geneigt, den nächsten nur halbwegs besseren schon als gut zu bewerten - in diese Falle darf man bloß nicht gehen." Die Wertung erfolgt auch an diesem Abend nach dem Song-Contest-Punktesystem: Platz eins bekommt zwölf Punkte, Nummer zwei und drei zehn und acht Punkte, dann folgen die Punkte sieben bis eins. Was einen echten ESC-Fan ausmacht? "Man muss verrückt genug sein, das alles über sich ergehen zu lassen und es gut zu finden!", sagt ein Langzeit-Fan lachend.

Noch vor ein paar Jahren hatte der OGAE Austria nicht viel mehr als 50 Mitglieder, nach dem Sieg von Conchita Wurst vor einem Jahr sind die Mitgliedzahlen sprunghaft angestiegen. Die Vorteile für Fans: Man kommt an die besten Karten für die Song-Contest-Shows, es gibt Treffen, Clubbings und Konzerte, bei denen Fans aus allen Ländern zusammenkommen. Volksschullehrerin Michaela ist erst seit einem Jahr OGAE-Mitglied, der Song Contest fasziniert sie aber schon seit sie ein Kind war: "Ich erinnere mich noch gut an den violetten Anzug von Thomas Forstner, als er 'Nur ein Lied' präsentierte!" Mit der griechischen Siegerin von 2005, Elena Paparizou, ist sie persönlich befreundet, bei ESC-Clubbings macht sie gerne die DJane. Sie mag am Song Contest den "fröhlichen Pop, die schönen Balladen". Heuer tippt sie auf Schweden als Sieger: "Den Beitrag habe ich auch schon meinen Schülern vorgespielt." Der heurige österreichische Song habe ihr "zu wenig Song-Contest-Style".  An der OGAE gefalle ihr, dass man als Mitglied die Möglichkeit habe, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen - "mit Leuten, die verstehen, dass einem der ESC gefällt, besonders in Österreich, das ja nicht so die Song-Contest-Nation ist. Obwohl sich das durch den Sieg von Conchita etwas verändert hat".

Halbzeit

Halbzeit im Prevoting-Fieber. In der Pause schallen bekannte "historische" Sieger-Songs aus den Lautsprechern, wie "Hallelujah" oder "Ding-A-Dong". Der erste Song Contest, den Fan Michael, Mitglied und Urgestein des Vereins OGAE Austria, mit neun Jahren sah, war der von 1977, "als die Schmetterlinge 'Boom Boom Boomerang' sangen". Vereinsmitglied wurde er 1996, nachdem er einen Beitrag in Vera Russwurms Fernsehshow "Vera" gesehen hatte: "Die OGAE Austria wurde damals als 'Österreichs verrücktester Fanclub' präsentiert - daraufhin hab ich mich gleich nach dem Kontakt zum Verein erkundigt."

Die FH-Absolventen Anna und Maximilian haben während ihres Journalismus-Studiums ein Song-Contest-Special beim Sender "Njoy Radio 91,3" ins Leben gerufen, das heuer bereits zum sechsten Mal ausgestrahlt wird - mit Musik, Interviews, Party-Guide und CD-Verlosungen (11. Mai, 18.00 bis 21.00 Uhr). Dreimal waren sie schon beim Song Contest live dabei, seit 2011 sind sie Mitglieder im Fanclub. "In Kopenhagen, als Conchita gewann, standen wir direkt vor der Bühne", schwärmt Max, dessen Masterarbeit in Politikwissenschaft auch den Song Contest zum Thema hat. "Als Conchita gewann, war das ein Gefühl unter den Fans, als würde Österreich die Fußball-WM gewinnen."

Punktevergabe

Moderatorin Karin "Selmalöf" Pointner hat in der Pause in ESC-Manier die Robe gewechselt - aus Blitzblau wird Knallpink. Bei Russlands "A million voices" auf Platz 32 macht sich langsam Erschöpfung breit - und es gibt wieder freie Sitzplätze. Großbritannien sorgt gegen 23 Uhr mit seinem Charleston-Song "Still in Love with You" noch mal überraschend für Stimmung, und dann heißt es: Punkte abgeben!

Die Votingverkündung wird mit Conchitas "Unstoppable" eingeleitet. Sieger des Abends werden schließlich Italiens drei Tenöre mit "Grande Amore" - was der große Jubel nach der Präsentation schon ahnen ließ. Auf den Stockerlplätzen dahinter Norwegen und Schweden; Österreichs Makemakes schaffen es mit dem zehnten Platz noch knapp unter die Top Ten. Mittlerweile ist es weit nach Mitternacht - doch wahre Fans halten durch. Moderator Marios letzter Wunsch an die Technik: "Gebt's uns noch mal Italien - und dann räum' ma z'samm!"