Wien. Sie hat ihren eigenen Charme. Ein rechteckiger Betonboden vor den Glaseingangstüren als Vorplatz. Eine Eingangshalle mit Garderoben, wie man sie kennt. Ein markant überhängendes Dach - als große Reklamewand nutzbar. Alles zweckmäßig. So auch der viele Platz, den man von außen kaum vermuten würde. Für große Stars, aufbäumende Motorräder und Zirkus-Tiere. Die Stadthalle als Bau hielt sich immer zurück und ließ den Ereignissen den Vorrang.

Roland Rainer Platz 1,eine umstrittene Adresse. Stanislav Jenis
Roland Rainer Platz 1,eine umstrittene Adresse. Stanislav Jenis

Und derer gab es tausende. Die Kinder-Augen waren groß, als Held Winnetou über die Leinwand des temporär größten Kinosaals Europas ritt. Jahre später hieß es für die Schulkinder "ATA" (Artisten-Tiere-Attraktionen) - todesmutige Artisten schwebten durch die Luft und geduldige Pferde rannten im Kreis. Zehn Jahre später hörte man Sänger Eros Ramazotti auf einem Plastiksessel mit tausenden anderen Fans. Bis man schließlich - groß geworden - mit seinen eigenen Kindern im Musical "Lillifee" in der Halle F diesmal auf rot gepolsterten Möbeln sitzt.

Pferde und Kosmonauten

Die Hauptbühneist 44 Meterbreit und14 Meterhoch. ORF-ON/songcontest.ORF.at/Christian Öser
Die Hauptbühneist 44 Meterbreit und14 Meterhoch. ORF-ON/songcontest.ORF.at/Christian Öser

Es gibt wohl kaum einen Wiener, der noch nie in seinem Leben in der Stadthalle war. Die zeitlose Dame wird im Juni dieses Jahres bereits 57 Jahre alt. Im Jahr 1953 fand ihr Baubeginn statt. 1958 wurde sie - eingebettet in den 15. Bezirk nächst dem Gürtel - eröffnet. Die Stadthalle ist die ganz persönliche Handschrift ihres Architekten, Roland Rainer, der im Auftrag der Stadt die damit größte Veranstaltungshalle Österreichs entwarf. Sie besteht aus sechs einzelnen Hallen, die getrennt oder miteinander verbunden bespielt werden können. Sie hat Platz für insgesamt 24.000 Personen auf 13.000 Quadratmetern. Und ihre größte Halle ist die Halle D für rund 16.000 Besucher.

Die Veranstaltungen in der Stadthalle lesen sich wie ein Abriss der Geschichte. Neben den langjährigen Shows wie der Wiener Eisrevue (1958 bis 1973), ATA (1959 bis 1995), Holiday on Ice, der Pferde-Show "Apassionata" oder vielen Sportveranstaltungen sind die Inhalte unterschiedlich. 1959 sorgte Louis Armstrong für sieben ausverkaufte Konzerte, drei Jahre später berichtete Star-Kosmonaut Juri Gagarin von seiner Weltraummission. Sophia Loren, Sean Connery oder Rita Hayworth reisten zu Uraufführungen von Filmen an. Die Rolling Stones traten im Jahr 1967 auf. Ihr Live-Gig fand damals noch am Nachmittag statt. Er begann um 15.30 Uhr. Im selben Jahr wurde in den Räumlichkeiten Hans Orsolics jüngster Box-Europameister. Es folgten das Musical "Hair" (1970), eine UNO-Konferenz (1979) und Roland Düringer mit zwei ausverkauften "Benzinbrüdern" (1999), das bis dato größte Kabarettevent des Landes. Für die Schwimm-Kurzbahn-EM wurde in der Halle D sogar ein 25 Meter langes Becken errichtet. Pop-Stars geben sich die Klinke in die Hand. Dies taten damals ABBA, Celine Dion oder Udo Jürgens und jüngst Lady Gaga, Rod Stewart oder Herbert Grönemeyer. Es gibt wohl kaum jemanden, der Österreich anfliegt und nicht in der Stadthalle landet.

Doch ihre Karriere als denkmalgeschützte Veranstaltungs- und Schwimmhalle überlebte sie nicht gänzlich skandalfrei. Da wäre zum einen das angrenzende Stadthallenbad, welches ebenfalls von Architekt Rainer entworfen wurde. Das Schwimmbad wurde 1974 eröffnet. Im Jahr 2010 beschloss man eine Generalsanierung mit einer Wiedereröffnung ein Jahr später. Doch dazu kam es nicht. Undichte Wasserbecken, von der Wand fallende Fliesen und technische Gebrechen leiteten eine fast dreijährige Suche nach Ursache und Schuldigen ein. Gerichtlich ist der Fall noch nicht geklärt, doch seit 30. Juni 2014 ist das Bad wieder geöffnet.

Im Jahr 2013 kam ein weiterer Rückschlag auf den Bau zu. Eine von der Stadt beauftragte Historikerkommission nahm Wiens Straßennamen in Hinblick auf eine mögliche NS-Vergangenheit der auf den Schildern genannten Personen genauer unter die Lupe. Das Ergebnis kam für manche mehr, für andere weniger überraschend: Auch der Name Roland Rainer fand sich unter den Fällen "mit Diskussionsbedarf".

Denn Rainer war ein Mitglied der NSDAP. Er hat selbst um die Aufnahme angesucht. Laut Bericht hat sich der Architekt in seinen Schriften 1944 mit dem zweigeschoßigen Einfamilienreihenhaus als die in "volksbiologischer" Hinsicht günstigste Hausform und mit den Zusammenhängen zwischen "Rasse und Wohnform" auseinandergesetzt. Diese Zeit seines Lebens hat Rainer in seiner Autobiografie ausgelassen.

Von Seiten der Stadt stimmte man dem Bericht zwar zu, wies jedoch darauf hin, dass der 2004 verstorbene Rainer ein herausragender Architekt gewesen sei. Andere Architektur-Größen stimmten dem zu. Als der Platz direkt vor der Stadthalle im Jahr 2006 zum "Roland-Rainer-Platz" wurde, habe es die Auseinandersetzung noch nicht gegeben, so die Stadt. Allerdings muss man hinzufügen, dass der "Roland-Rainer-Platz" erst im vergangenen Jahr auch zur offiziellen Postadresse der Stadthalle wurde. Ein Jahr nach dem Ergebnis der Historikerkommission. Schlussendlich kam die Stadthalle nicht nur wegen der Vergangenheit ihres Architekten und einem tröpfelnden Stadthallenbad in die Schlagzeilen, auch Derivatgeschäften mit angeblichen Millionenverlusten machten ihr zu schaffen. Die Veranstaltungshalle, die zur Wien Holding gehört und damit eine 100-prozentige Tochter der Stadt ist, wies die Vorwürfe von sich.

Um sich langfristig abzusichern, hat die Wiener Stadthallenbetriebsgesellschaft im Jahr 2011 einen Sponsoring- und Kooperationsvertrag mit der Erste Bank abgeschlossen. Die Bereiche Ticketing und Marketing hat damit in der neu gegründeten Gesellschaft "Erste Bank Wiener Stadthalle" mehrheitlich die Erste Bank übernommen. Ein Einstieg bei der Stadthalle selbst oder gar eine Übernahme sei aber nie zur Diskussion gestanden, hieß es. Und so ist die Wiener Stadthalle bis dato auch nicht die "Erste Wiener Stadthalle" geworden.

Mehr als eine Million Menschen pilgern jährlich in die Hütteldorfer Straße, wo hinter dem Märzpark der Ort der Begierde liegt. Die Umgebung ist die zahlreichen Busse, die Kurzparkzone, die viele Reklame gewohnt. Dass am Samstag der Eurovision Song Contest, das bisher größte Event für die Stadthalle, über die Bühne gehen wird, ist dennoch kaum zu glauben. Kein großer Vorplatz, kein hohes Gebäude, welches heraussticht, keine freie Sicht auf Europas älteste Mehrzweckhalle. Sie hat eben ihren eigenen Charme - Wiens Stadthalle.