Kiew. (sir) Die Zuversicht, die war einmal. Und auf sie war immer die große Enttäuschung gefolgt, wann immer England ein großes Turnier bestritten hat. Diesmal hat die Zuversicht ganz kurz vorbeigeschaut, als die Engländer überraschend, glücklich und ohne eine große Leistung gezeigt zu haben, Gruppensieger geworden sind.
Dann kam Italien, einer der alten Rivalen, und ein bisschen war es wie immer, wenn diese Mannschaften einandertreffen. Die einen versuchen, ein Tor zu schießen, die anderen mauern, die einen schießen und flanken aus allen Lagen, die anderen warten auf die Standardsituation, die ihnen auf einfachste Weise das 1:0 bringen könnten.
Diesmal aber war Italien England und England Italien, die beiden Rivalen hatten komplett die Rollen getauscht. "Ein Weiterkommen wäre ungerecht gewesen", sagte Harry Redknapp, der verhinderte Teamchef der Engländer, der "Sun".
Ein verlorenes Elfmeterschießen ist die knappste und bitterste Form des Ausscheidens, dennoch haben die Engländer gesehen, dass sie derzeit nur eine mediokere Truppe aufbieten können. Und wenn dann noch ihr Extrakönner Wayne Rooney einen schwarzen Tag erwischt, wirds eben ganz finster für England.
Die geringen Erwartungen vor diesem Turnier haben die Zeitungen aber mit Milde auf das Aus reagieren lassen. "Mit Würde und nicht ohne Hoffnung" sah der "Independent" die Engländer aus dem Turnier gehen, und das Boulevardblatt "The Sun" schrieb: "Ein sehr tapferer Versuch". Die fast versöhnlichen Töne sind neu in der Fußballberichterstattung auf der Insel, ja sogar auf Schuldzuweisungen wurde verzichtet.
"Am Ball verbessern"
Nach früheren Turnieren wurden David Beckham und Wayne Rooney, oder nach dem Scheitern in der EM-Qualifikation Steve McClaren zu den Sündenböcken der Nation erklärt und heftig kritisiert. Mittlerweile scheint auch das Mutterland des Fußballs kapiert zu haben, dass es alt geworden ist, einer antiquierten Philosophie anhängt und nur noch Mittelmaß ist. Trotz oder gerade wegen der Premier League.
Ex-Teamchef Graham Taylor stößt sich am 4-4-2-System von Roy Hodgson. "Damit können wir nie etwas gewinnen", sagte Taylor. Die Italiener hatten im Mittelfeld, wo sich die Partien heute entscheiden, einen Mann mehr, es war Andrea Pirlo, der überragende Mann auf dem Feld.
"Die Ballbesitzanteile (64:36 Prozent, Anm.) sprechen für sich. Um weiterzukommen, müssen wir uns am Ball verbessern", sagte Kapitän Steven Gerrard. Auch Ex-Teamstürmer Michael Owen ist dieser Ansicht, er schränkt aber ein: "Ich zweifle daran, dass wir die Spieler dafür haben. Die Antwort muss also sein, unserem Nachwuchs eine andere Art des Fußball zu lehren."
Große Hoffnungen setzen die Engländer auf den 20-jährigen, derzeit verletzten Jack Wilshere von Arsenal. "Er könnte wie Pirlo sein", sagte Redknapp. Einen hätten die Engländer also schon. Einen von elf.