Wie es dazu kam, dass aus Gesund­heit eine Ware wurde wird unter anderem  in diesem Buch der Taschenbuch-Reihe "Attac-Basis-Texte" des VSA-Verlags beschrieben. - © VSA-Verlag
Wie es dazu kam, dass aus Gesund­heit eine Ware wurde wird unter anderem  in diesem Buch der Taschenbuch-Reihe "Attac-Basis-Texte" des VSA-Verlags beschrieben. - © VSA-Verlag

"Es mag hart klingen, aber es ist wahrscheinlich im Interesse aller, dass in einem freiheitlichen System die voll Erwerbstätigen oft schnell von einer vorübergehenden und nicht gefährdeten Erkrankung geheilt werden, um den Preis einer gewissen Vernachlässigung der Alten und Sterbenskranken." Mit diesen Worten beschrieb der österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek 1983 einen Aspekt seiner Vision vom Gesundheitswesen.

Was vor mehr als 30 Jahren mehrheitlich noch als Dystopie gesehen wurde, ist mittlerweile längst ein Teil der Wirklichkeit geworden - so lautet jedenfalls das Fazit des von Attac herausgegebenen Büchleins "Gesundheit ist (k)eine Ware. Wenn Geld die Medizin beherrscht." Der rund 90-seitige Text beleuchtet die zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens, allerdings nicht im Sinne der Ökonomisierung für den Patienten, sondern im Sinne der medizinischen Versorgung als Einnahmequelle und Vergütungssystem.

Eine der Folgen daraus: der finanzielle Wert bestimmt mehr und mehr die Entscheidung und Leistung von Ärzten, der medizinische Nutzen wird dadurch zweitrangig. Der Arzt wird zum Leistungserbringer, der Patient zum Kunden.

Dennoch liegt diesem Diskurswechsel vom Patienten als Kunden ein Denkfehler zugrunde: Kunden können wählen, ein Kranker allerdings hat sich in der Regel seine Krankheit nicht ausgesucht. Auch wenn die neoliberale Schule immer wieder Eigenverantwortlichkeit predigt: Jemand, der krank wird, wäre im Grunde genommen selber schuld - sei es weil er raucht, weil er zu wenig oder zu viel trinkt oder sich nicht gesund ernährt und keine Bewegung macht, heißt es. Dieser Diskurs von Selbstverschuldung und Fehlverhalten führe unweigerlich zur Entsolidarisierung, betonten die Autoren.

Freilich: Kein vernünftiger Mensch würde behaupten, dass es nicht gut ist, Krankheiten zu verhindern, bevor sie entstehen. Doch meist bleibt in der Debatte um Eigenverantwortlichkeit beispielsweise unerwähnt, dass es in Gesellschaften mit starken Einkommensunterschieden erheblich mehr Stressfaktoren gibt als in gleicheren. Und Stress macht, wie man weiß, krank. Die Lebens-, und Arbeitsbedingungen sind daher neben der Veranlagung ein wesentlicher Grund, warum Menschen erkranken.

Aber auch auf formaler Ebene verschleiert das Bild vom Kunden mehr als es erklärt: denn rein ökonomisch gesehen ist Kunde, wer bezahlt, und das sind im Kassensystem nach wie vor die Kassen. Ferner besagt die Rechtsprechung des EuGH, dass gesetzliche Krankenkassen nicht als gewöhnliche Wirtschaftsunternehmen einzustufen sind. Noch ist dieses Verdikt gültig, doch Tendenzen in die entgegengesetzte Richtung nehmen zu, sei es durch die Zunahme privater Elemente des Versicherungswesens, die die Solidarität der Versicherten (eg. Tarife mit Rückerstattung und Eigenbehalt), sei es durch Debatten darüber, das staatliche Gesundheitswesen zu privatisieren, wie sie zurzeit in Großbritannien stattfinden.

Ein Kapitel des Buches behandelt in diesem Zusammenhang auch die Privatisierung des Krankheitsrisikos durch Selbstbehalte und Zuzahlungen. Und die neoliberale Ideologie der Eigenverantwortung: Untersuchungen hätten gezeigt, dass bei Menschen mit geringem Einkommen notwendige Arztbesuche ausbleiben. Oder um Geld zu sparen werden notwendige Medikamente nicht eingenommen. Davon seien vor allem chronisch kranken Menschen betroffen.

Dass Zusatzversicherungen nicht automatisch bessere Behandlungen mit sich bringen, zeigen die Autoren sowie derer weiterführende Literaturangaben am Ende des Buches auf sehr anschauliche Weise. Denn fest steht, dass Privatpatienten oft überversorgt sind: etwa durch überflüssige Untersuchungen oder durch Operationen, die nicht immer unbedingt nötig sind. Die Vorteile von privaten Versicherungen liegen aber auch klar auf der Hand: Privatpatienten oder Zusatzversicherte bzw. Patienten, die Selbstbehalte in Kauf nehmen, müssen vergleichsweise kürzer auf die Behandlung warten, haben nicht so lange Wartezeiten in den Ordinationen und bekommen oft eine ausführlichere Beratung.

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Als roter Faden durch das Buch zieht sich also die neoliberale Umgestaltung des Gesundheitswesens in ganz Europa. Wenngleich der Fokus auf Deutschland liegt, allen voran die betriebswirtschaftliche Steuerung von Krankenhäusern (darunter auch deren Fokus auf Technologie anstatt auf Humanressourcen), so rückt es in den zwei weiteren Kapiteln viele Tendenzen und Fakten der neoliberalen Gesundheitspolitik auf europäischer Ebene in den Vordergrund.

Und die Autoren wissen, wovon sie sprechen: so war Manfred Fiedler Jahre lang Arbeitsdirektor und Geschäftsführer eines Krankenhauses in Nordrhein-Westfalen, sein Mitautor Arndt Dohmen ist wiederum leitender Arzt an einer Universitäts-Klinik, zuvor war er Chefarzt eines Krankenhauses in Süddeutschland. Er beschreibt die Folgen der neoliberalen Wende tagtäglich in seiner Berufspraxis wie folgt: "Besonders betroffen sind Menschen aus mittelosen und einkommensschwächeren Schichten – also gerade diejenigen, die ohnehin von höheren gesundheitlichen Belastungen und Risiken betroffen sind." Zusammen mit ihren Co-Autoren, dem Psychotherapeuten Werner Schüßler und Werner Rätz, Attac-Experte für Soziale Sicherungssysteme, führen die Autoren in den drei Kapiteln eindrücklich vor Augen, welch verheerende Folgen wirtschaftlicher Wettbewerb als Steuerungsinstrument in der Gesundheitsversorgung hat.

Zugleich zeigen sie Auswege in ein solidarisch finanziertes Gesundheitswesen auf, das der Daseinsvorsorge aller dient. Dafür sei eine solidarische Bürgerversicherung notwendig, bei der alle Einkommensarten nach dem Prinzip "alles für alle von allen" einbezogen werden. Private Krankenversicherungen seien demnach ebenso abzuschaffen wie die Finanzierung von Krankenhäusern durch Fallpauschalen. Was den Austausch medizinischer Daten betrifft, so fällt das Urteil der Autoren auch ganz klar aus: Er darf nur zum Wohle des Patienten geschehen, wenn dadurch etwa unnötige Mehrfachuntersuchungen oder übermäßige Strahlenbelastung vermieden werden können. Eine elektronische Gesundheitskarte lehnen sie allerdings ab, ein eigener, persönlicher Datenträger könnte eine Alternative darstellen: denn jeder sollte Herr seiner eigenen Daten bleiben. Außerdem fordern sie ein Verbot von Besuchen durch Vertreter der Pharma- und Medizinindustrie in den Praxen und fordern dagegen herstellerunabhängige Fortbildungen. Oder auch werbe- und manipulationsfreie Praxissoftware.