Neu Delhi. Indiens neuer Premierminister Narendra Modi hat sich an seinem ersten Arbeitstag auf schwer vermintes Gebiet begeben. Er versuchte gleich, die frostigen Beziehungen zum Nachbarland Pakistan zu verbessern. Dabei hatte der 63-jährige Hindu-Nationalist im Wahlkampf noch betont feindliche Töne gegen Indiens Erzrivalen angeschlagen und vor einer zu weichen Haltung gegenüber dem Nachbarland gewarnt.

Nun kam Modi aber in der Hauptstadt Neu Delhi mit Pakistans Regierungschef Nawaz Sharif zusammen. Allein schon der Umstand, dass sich die beiden Politiker zu einer Unterredung trafen, kam einer diplomatischen Sensation gleich und schürte die Hoffnung auf einen neuen Friedensdialog zwischen den beiden zerstrittenen Atommächten.

Bereits am Montag hatte Indiens neuer Premier Geschichte geschrieben, als er im Beisein von Sharif in seinem neuen Amt feierlich vereidigt wurde. Es war das erste Mal, dass ein Regierungschef der beiden verfeindeten Nachbarstaaten einem Amtsantritt auf der anderen Seite der umstrittenen Grenze beiwohnte. Indien und Pakistan haben seit ihrer Unabhängigkeit von Großbritannien 1947 drei Kriege gegeneinander geführt.

Indiens Medien bejubelten das 50-minütige Treffen der beiden Regierungschefs am Dienstag als "Eisbrecher", das den Beginn einer Tauwetter-Epoche zwischen den beiden Seiten einläuten könnte. "Das Treffen in Neu Delhi war eine historische Gelegenheit für beide Länder", betonte dann auch Sharif.

Beide Länder wollten Frieden und hätten kein Interesse an einem Wettrüsten gegeneinander, versicherte Sharif, der im Mai 2013 bereits das dritte Mal zum Regierungschef Pakistans gewählt wurde. Der konservative Politiker hatte in seiner Regierungszeit Ende der 1990er Jahre entscheidende Friedensverhandlungen mit dem damaligen indischen Premierminister Atal Bihari Vajpayee geführt. Vajpayee war als erster indischer Regierungschef nach Pakistan gereist, um sich mit Sharif zu treffen.

Nun lud Sharif auch Modi zu einem Besuch nach Pakistan ein. Dieser habe die Einladung angenommen, ein Termin stehe aber noch nicht fest, hieß es. "Ich möchte den Faden wieder aufnehmen, den ich und Herr Vajpayee 1999 in der Hand hielten", sagte Sharif. Vajpayee und der pakistanische Regierungschef hatten damals die Lahore-Deklaration unterzeichnet, die ein nukleares Wettrüsten zwischen Neu-Delhi und Islamabad unterbinden sollte. Doch drei Monate nach dem historischen Akt begann Pakistans Militär einen feindlichen Vorstoß im indischen Kaschmir, der zu einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung führte.

Heikles Thema Terrorismus

Bei aller Annäherung und allen freundlichen Tönen gab es aber auch genügend heikle Themen zu besprechen: etwa den Terrorismus. So macht Indien das Nachbarland für die verheerenden Anschläge in der indischen Finanzmetropole Mumbai (Bombay) 2008, bei denen über 160 Menschen getötet wurden, verantwortlich. Die Attentatsserie auf zwei Luxushotels und den Hauptbahnhof von Mumbai markierte damals einen neuen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Pakistan und Indien. Auch Modi kritisierte nun, dass Pakistan die Untersuchung der Anschläge nicht genügend forciert habe und keinerlei rechtliche Schritte gegen die Drahtzieher der Attentate in Pakistan eingeleitet hätte.

Insgesamt versucht Modi mit seinem kühnen Vorstoß gegenüber Pakistan offenbar Befürchtungen entgegenzutreten, dass er mit einer feindlichen Politik gegenüber Moslems das multireligiöse Indien polarisieren und vom islamischen Nachbarn Pakistan weiter entfremden könnte. Modi wird beschuldigt, als früherer Regierungschef des Bundesstaates Gujarat bei den religiösen Unruhen zwischen Hindus und Muslimen 2002 nichts unternommen zu haben, um den Blutrausch zu stoppen, bei dem über 1000 Menschen - die meisten von ihnen Muslime - auf grausame Weise starben.

Kabinett der Technokraten

Modis hindunationalistische Bharatiya Janta Partei (BJP) hatte vor knapp zwei Wochen die Parlamentswahlen mit einem Überraschungssieg gegen die Kongresspartei gewonnen und das stärkste Wahlmandat einer Partei in der letzten 30 Jahre eingefahren. Der extreme Flügel der Partei kämpft für ein hinduistisches Indien und wird von Kritikern als faschistisch bezeichnet. Modi selbst gehört seit seiner Jugend der hinduistischen Kulturorganisation Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) an, die wegen ihrer radikalen Ausrichtung bereits dreimal verboten wurde. Ein RSS-Mitglied erschoss 1948 Indiens ikonischen Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi, weil dieser angeblich die Interessen der Hindus verraten hatte. Modis neues Regierungskabinett bot jedoch dem rechten Parteiflügel keinen Platz - das zur Vorgängerregierung stark verkleinerte Gremium mit nur 45 Ministern ist von technokratischen Politikern dominiert.

Die Angst vor Modi ist aber trotzdem noch nicht verflogen: Kurz nach seinem Wahlsieg hatte Modi mit einer Triumph-Feier am heiligen Ufer des Ganges-Flusses in Varanasi erneut Befürchtungen geschürt, dass Indien unter seiner Führung von einer radikalen Hinduismus-Welle erfasst werden könnte, die die religiösen Minderheiten trifft.