
Wie konnte es jedoch so weit kommen? Die Republikanische Partei war nie eine wirklich homogene Gruppe und hat außerdem eine durchaus progressive Vergangenheit. Entstanden als fortschrittliche Mittelstandspartei, legte sie sich zunächst mit den Sklavenhaltern und Großgrundbesitzern im Süden an und brachte mit Abraham Lincoln ihren wohl größten Präsidenten hervor. Später waren es wieder die Republikaner, die die Korruption der vielfach demokratisch kontrollierten Stadtverwaltungen bekämpften, die sich vielerorts der Ahnungslosigkeit der neuen Einwanderer bedienten, um sich im Tausch gegen Wohnraum oder Arbeit politische Stimmen zu kaufen.
Dennoch wurden die Republikaner immer mehr zur Partei des Wohlstandes, da im Zweiparteiensystem die jeweils anderen, also die Demokraten, zwangsläufig die Rolle der Kleinen-Leute-Partei übernahmen und zunehmend mit Umverteilungsforderungen punkteten. Nach der Öffnung der Demokraten gegenüber der Protest- und Flower-Power-Bewegung in den 60er Jahren bemühten sich führende Republikaner, die Basis der eigenen Partei zu erweitern. Man wollte den Nimbus der Elitenpartei abschütteln und quasi die Partei der "schweigenden Mehrheit", also des "hart arbeitenden Mittelstandes" werden, der angesichts der Rassenkrawalle, Vietnamproteste, der verrottenden Städte und des Anstieges an Gewaltverbrechen nur noch den Kopf schüttelte.
Ronald Reagan sollte schließlich jener Politiker werden, der den Republikanern das Image einer Breitenpartei vermittelte und viele demokratische Parteigänger ("Reagan-Democrats") als Wähler zur GOP brachte. Immer mehr Strömungen gingen in der Republikanischen Partei auf. Unter diesen gab es neben den alten Progressiven vor allem im Nordosten die Anhänger einer weitgehend deregulierten Marktwirtschaft (neoliberale Wirschaftskonservative), die an öffentlicher Moral und Anstand interessierten Wertekonservativen, die besonders an außenpolitischer Stärke orientierten Neokonservativen sowie die stark wachsende Strömung der christlich-fundamentalistischen und evangelikalen Konservativen. Letztere Gruppe wurde vor allem unter George W. Bush ein zunehmend wichtiges Mobilisierungsinstrument breiter Bevölkerungskreise. Durch die christlichen Basisgruppen konnten die Konservativen nun neue Bevölkerungsteile jenseits der klassischen Mittelschicht erreichen. Diese für populistische Botschaften anfälligen, mitunter auch bildungsfernen Schichten waren in der Vergangenheit entweder unpolitisch gewesen und den Wahlen ferngeblieben oder hatten eher die Demokraten als Vertreter der "kleinen Leute" gewählt.
Doch weder Neokonservative noch Evangelikale stellten für das betuchte konservative Establishment eine wirkliche Herausforderung dar. Diese Gruppen stellten jeweils zu bestimmten Zeiten eine für die Partei wichtige Speerspitze dar, sie sind jedoch in ihrem Einfluss mittlerweile zurückgedrängt. Die eher progressiv-moderaten Republikaner, von den Gegnern verächtlich RINOs (Republicans in Name Only) genannt, sind bereits länger marginalisiert. Anders verhält es sich jedoch mit der Tea Party, die quasi eine eigene rechtspopulistische Partei darstellt, jedoch innerhalb der GOP aufgegangen ist und dort bereits vorhandene Strömungen sowie viele christlich-konservative Aktivisten in sich aufnahm. Schon lange gab es bei den Republikanern eine dogmatisch libertäre Richtung, deren Ursprung auf den Senator und einstweiligen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater zurückgeht. Diese sah vor allem in der Ausweitung der Rolle des Staates die Ursache aller Fehlentwicklungen und wollte diesen Prozess umkehren.
Entstanden war die Tea Party in jetziger Form spontan, als am 19. Februar 2009 der Fernsehmoderator Rick Santelli auf dem Finanzfernsehsender CNBC eine Schimpftirade auf Präsident Barack Obama und seine Regierung losließ, da diese ein Gesetz eingebracht hatte, um in Not geratenen ärmeren Hausbesitzern, darunter vielen Schwarzen, finanziell zu helfen. Santelli erboste sich darüber, dass Bürger nun mit ihren Steuergeldern dafür herhalten sollten, ihren unverantwortlichen Nachbarn zu helfen, deren Hypotheken zu bezahlen. Er schloss mit den Worten: "Wir überlegen im Juli in Chicago eine Tea Party zu veranstalten." Im darauffolgenden Herbst bescherte die Tea Party den Republikanern einen überwältigen Sieg bei den Kongresswahlen.
Die stark im Protestwählerspektrum verankerte Tea-Party-Bewegung vereinigt die libertäre Tradition Goldwaters mit dem missionarischen Eifer der Evangelikalen und betont populistische Botschaften, die flexibel interpretierbar sind. Für die libertären Puristen geht es philosophisch um die Freiheit des Einzelnen angesichts eines überbordenden Staates, andere Konservative lehnen einfach den Staat in Form der Obama-Administration ab, bei wieder anderen herrscht allgemein Unzufriedenheit mit "denen da oben" und für alle steht die Bundesregierung als Schuldenmacher, Steuerdieb und Wirtschaftsdilettant im Kreuzfeuer der Kritik. Man trifft sich beim kleinsten gemeinsamen Nenner, Washington in seiner gegenwärtigen Form zu bekämpfen und zugleich ein vermeintlich verloren gegangenes, besseres Amerika wieder auferstehen zu lassen.
Das Wirtschaftsestablishment, das selbst ein Interesse daran hat, den regulierenden und besteuernden Staat möglichst klein zu halten, ließ die Tea Party lange gewähren. Nur sind weder die Wirtschaft noch die mit ihr verbundenen Kreise in der GOP an politischem Chaos und einem Regieren von Krise zu Krise (governing by crisis) interessiert. Die Stärke der Tea Party ist, dass sie einerseits die Basisverbundenheit und Mobilisationskraft der evangelikalen Gruppen besitzt, aber wesentlich besser finanziert ist. Sie wird nämlich von einem Netzwerk finanzkräftiger Gruppen und Organisationen versorgt und von wichtigen Medien und Meinungsmachern unterstützt.