
Waren einst die Handelskammer, die Industrieverbände und die Wall Street zusammen mit einer Armee von Lobbyisten und der mediale Speerspitze des "Wall Street Journal" die zentralen Bestimmungsfaktoren der republikanischen Agenda, so sind Tea-Party-Politiker auf diese Quellen vielfach nicht angewiesen. Es gibt eine Vielzahl an Aktivistengruppen, Netzwerken und Plattformen wie Tea Party Nation, Tea Party Patriots, Americans for Prosperity oder ResistNet, teilweise finanziert durch wohlhabende Gönner, allen voran die Milliardäre Charles und David H. Koch. Diese Organisationen sorgen dafür, dass selbst die radikalsten und seltsamsten Kandidaten ihre Förderer finden. Allein die Koch-Brothers, das wohl reichste Geschwister-Paar der USA, unterstützte mehr als 30 verschiedene rechte Gruppierungen mit mehr als 200 Millionen Dollar.
Mussten sich bis 2012 die Kandidaten noch abmühen, möglichst viele Geldgeber auf ihre Seite zu bringen, so genügt heute ein einziger finanzkräftiger Sponsor, da sich nach einem Entscheid des Obersten Gerichtshofs vor zwei Jahren die Gesetzeslage zugunsten privater Einzelspender geändert hat. Diese können auch in der Wählergunst hoffnungslos weit zurückliegende Kandidaturen finanziell noch lange am Leben erhalten und attraktive Gegenkandidaten im eigenen Lager durch negative Werbung nachhaltig schädigen.
Der Konflikt zwischen Establishment und Tea Party ist nicht nur eine Folge unterschiedlicher ideologischer Zielsetzungen und großer Finanzmittel auf beiden Seiten, sondern wird auch beeinflusst durch eine unterschiedliche Ursachenanalyse des Ist-Zustandes. Aus Sicht des Establishments haben die Republikaner wegen fehlender Breitenwirkung zumindest nach Stimmenmehrheit (nicht nach Mandatsmehrheit) alle Urnengänge seit 2000 verloren - mit Ausnahme der Wahlen von 2010, bei der jedoch besonders viele desillusionierte Demokraten zuhause geblieben waren.
Vor allem Frauen, Latinos, besser Gebildete und Junge kehren den Republikanern den Rücken und in jenem Maß, in dem die GOP zu einer Partei der "angry white old men" wird, hat sie ein demografisches Problem, das sie zur Minderheitenpartei schrumpfen lässt. Sie gilt außerdem als Nein-Sager- und Blockadepartei, die neben Steuererleichterungen für Millionäre scheinbar nichts anzubieten hat. Zumindest ist dies die Befürchtung des Partei-Establishments, das nun versucht, Kandidaten mit breiterer Popularität ("cross-over appeal") ins Feld zu schicken und verstärkt Minderheiten anzusprechen. Die Partei versprach auch groß eine Latino-freundliche Reform der Einwanderungsgesetze. Letzteres scheiterte jedoch prompt im von der Tea Party dominierten Abgeordnetenhaus.
Die Parteirechte argumentiert wiederum, dass die Ursache der Probleme in der mangelnden ideologischen Leidenschaft vieler ihrer Spitzenpolitiker zu suchen sei. Die angesprochenen Wahlen wären deswegen gescheitert, so argumentiert man, weil man Kompromisskandidaten in die Schlacht geschickt habe, die wie George W. Bush, John McCain und vor allem Mitt Romney keine wirklich überzeugenden Konservativen waren und daher die Wähler unbeeindruckt ließen. Allein 2010 wäre der GOP aufgrund der Tea Party ein durchschlagender Erfolg beschieden gewesen, also müssten die Republikaner nicht inklusiver und moderater, sondern im Gegenteil konservativer werden.
Dabei stünden bei größerer Geschlossenheit die politischen Karten für die Republikaner gar nicht so schlecht. Umfragen zeigen, dass ihre Botschaften vom schlankeren Staat und dem Sparen eher auf offene Ohren bei der Bevölkerung stoßen als die Forderung nach Umverteilung und mehr Sozialausgaben. Das jüngste Fiasko bei der Einführung der allgemeinen Gesundheitsvorsorge und die generelle Führungsschwäche Obamas haben seine Beliebtheitswerte in den Keller rasseln lassen. Erfahrungsgemäß verliert eine Partei, deren Präsident in der Zustimmung zur Amtsführung unter 40 Prozent lieg, bei den nächsten Wahlen mindesten 60 Sitze im Abgeordnetenhaus. Auch ist die rasch wachsende und tiefkatholische Minderheit der Latinos für kulturkonservative Botschaften - wie etwa bei Fragen der Homo-Ehe und der Abtreibung - sehr empfänglich und für die GOP durchaus politisch erreichbar, wenn nur die Partei als weniger rassistisch empfunden werden würde.
Man darf gespannt sein, wie der parteiinterne Krieg ausgeht. Das Establishment plant eine Finanzoffensive, um Republikaner in den Kongress zu bringen, die "Marktwirtschaft verstehen und nicht Dummheit predigen", wie es ein Vertreter der Handelskammer ausdrückte. Ob diese Bemühungen der etablierten Konservativen Erfolg haben, wird jedoch davon abhängen, ob es den Gegnern der Tea Party gelingt, eigene Kandidaten durch die Vorwahlen zu bringen. Bisher ist dort die Unterstützung durch das Establishment so etwas wie der "kiss of death".