"Wiener Zeitung": Meine Herren, wie steht es um unsere Welt?

"Alles wird gut!": Walter Hämmerle gibt im Streitgespräch den Optimist... - © Illustration: Peter M. Hoffmann
"Alles wird gut!": Walter Hämmerle gibt im Streitgespräch den Optimist... - © Illustration: Peter M. Hoffmann

Der Pessimist: Das Zeitalter des Optimismus, von dem Gideon Rachman in seinem Buch "Nullsummenwelt" bezogen auf die Jahre 1991 bis 2008 schreibt, ist vorbei, genauso wie der unipolare Moment für die USA oder die Euphorie für die Europäische Union.

Der Optimist: Von Euphorie ist tatsächlich keine Rede mehr. Doch das muss nicht schlecht sein, solche Phasen verleiten oft zu falschen Weichenstellungen. Die regulatorischen Wurzeln der Finanzkrise haben ihre Anfänge in den Jahren des "anything goes" der 1990er, als die Deregulierung der Finanzmärkte ihren Anfang nahm.

... während Thomas Seifert die Zukunft düster sieht. - © Illustration: Peter M. Hoffmann
... während Thomas Seifert die Zukunft düster sieht. - © Illustration: Peter M. Hoffmann

Der Pessimist: Was die Welt in den vergangenen Jahren erlebt hat, ist eine Welle der Deglobalisierung, die Rückkehr des Nationalismus und der egoistischen Kleinstaaterei in Europa; die USA sind politisch so paralysiert wie polarisiert, ihre Streitkräfte vom Irak-Debakel und von den Misserfolgen in Afghanistan demoralisiert; auf den Arabischen Frühling 2011 folgte die Restauration des Militärregimes in Ägypten, auf Muammar Gaddafis Sturz das Chaos in Libyen; und die Bürgerkriege im Irak und in Syrien metastasieren gerade zu einem schrecklichen Krieg im Nahen Osten, der zu einem Krieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ausarten könnte. Und während der Westen sich in Afghanistan und im Irak verzettelte, ging China daran, neue Allianzen zu schmieden - nicht zuletzt mit Moskau.

Walter

Bleiben wir in Europa. Sechs Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise lahmt die Konjunktur noch immer, das Heer der Arbeitslosen zählt in der EU fast 25 Millionen oder 10 Prozent (in der Eurozone 11,5 Prozent), mit Frankreich und Italien wanken zwei Kernstaaten . . .

Der Optimist: Die Bewältigung der Krise erfolgt langsam, weil Europa nur langsam handeln kann - 28 Staaten einigen sich nicht so leicht wie ein Staat. Die These von einer Re-Nationalisierung Europas widerspricht dennoch der Realität. Tatsächlich hat die Krise zu einem Integrationsschub verholfen, der zuvor völlig undenkbar gewesen wäre. Der Einstieg in eine Bankenunion ist geschafft, nationale Budgets müssen Brüsseler Vorgaben genügen, damit ist auch das Fundament einer EU-Fiskalpolitik gelegt. Das sind historische Quantensprünge.

Der Pessimist: Lieber Freund, Sie unterschlagen die Kosten der Krise für die Menschen. Die steigende soziale Ungleichheit gefährdet den sozialen Frieden, nicht nur in den Krisenländern, sondern auch in Deutschland und Österreich. Die Politik stagnierender oder gar sinkender Löhne bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass die Früchte steigender Produktivität immer mehr jenen zugutekommen, die Karl Marx Kapitalisten genannt hat, und immer weniger dem einstigen Proletariat, das heute als Prekariat firmiert. Das hat unsere Gesellschaften in tickende Zeitbomben verwandelt, denken Sie nur an die linken Protestbewegungen, wie sie derzeit etwa in Griechenland und Spanien nach der Macht greifen, oder die Rechtspopulisten, die von Skandinavien über Österreich auf dem Vormarsch sind.

Der Optimist: Sie leiden an feuilletonistischen Übertreibungen bei der Analyse komplexer Probleme. Ich bestreite nicht, dass wir vor großen Problemen stehen, aber nicht alles ist immer gleich ein Megatrend. Es gibt auch Entwicklungen zum Besseren, nicht nur die schiefe Ebene in den Abgrund.

Nennen Sie Beispiele: Wo gibt es Fortschritte zum Besseren?

Der Optimist: Die steigende Kluft zwischen Arm und Reich ist ein statistisches Faktum. Das ist unbestritten, dagegen muss die Politik ankämpfen, schließlich ist sie ja nicht völlig schuldlos. Daneben geht jedoch völlig unter, dass - laut den Millennium-Entwicklungszielen der UNO - in den vergangenen zwanzig Jahren eine Milliarde Menschen aus der extremen Armut geholt wurden. Zwischen 1990 und 2010 sank der Anteil jener, die nur über 1,25 US-Dollar oder weniger verfügen, von 43 auf 21 Prozent der Bevölkerung in den Entwicklungsländern. Dies entspricht immer noch einer Milliarde Menschen, aber der Erfolg ist dennoch enorm. Zwei Drittel dieser Entwicklung sind dem gesteigerten Wachstum in den Entwicklungsländern, vor allem in China, zu verdanken. Hier entkamen allein in diesem Zeitraum 680 Millionen Menschen dem Elend. Und die Kräfte, die das bewirkt haben, waren nicht Kommunismus oder Weltverbesserungsideologien, sondern liberale Marktwirtschaft und freier Welthandel.

Der Pessimist: Mag sein, aber zu enormen sozialen und ökologischen Kosten. Und die Armut bleibt ja, wir reden ja nur von der extremen Armut. Und noch etwas: Schrankenloser Freihandel untergräbt die Demokratie.

Der Optimist: Sie schaffen es, sogar eine Erfolgsstory zu einer Geschichte des Versagens umzuschreiben. Ich bleibe dabei: Der wirksamste Weg, Menschen aus der Armut zu holen, ist die Liberalisierung von Märkten - zwischen Staaten und in den Staaten selbst. Dies ermöglicht es den Menschen, sich selbst aus der Armut emporzuarbeiten. Laut den UN-Entwicklungszielen von 2000 sollte bis 2015 die Zahl der Menschen, die mit weniger als 1,25 Dollar auskommen müssen, halbiert werden. Das wurde bereits 2010 erreicht. Andere Ziele, das muss zugegeben werden, werden verfehlt, etwa die Müttersterblichkeit um 75 Prozent und die Kindersterblichkeit um 66 Prozent zu reduzieren. Aber die Gesamtlage bessert sich kontinuierlich. Dazu gehören auch staatliche Sozialprogramme, aber diese ersetzen keine erfolgreiche Wirtschaftspolitik.