Bei der Frage, in welchem Ausmaß und in welchen Formen heute die internationalen Beziehungen von Gewalt geprägt sind, dient der Kalte Krieg als Referenzpunkt. Gegenüber der bipolaren Struktur hat sich in der Phase danach Gewalt verändert - wie auch die Instrumente, um sie einzudämmen. Auch guten Absichten stand oft eine mangelhafte und unwirksame, zuweilen kontraproduktive Durchführung gegenüber. Dennoch kommen wirl zum Schluss, dass zwei Institutionen der Vergangenheit auch geeignet wären, heutige Gewaltkonflikte einzudämmen oder wenigstens zu reduzieren: die Vereinten Nationen und die Entspannungspolitik.

Der Kalte Krieg hatte ein mächtiges Gewaltpotenzial angehäuft. Da gab es das nukleare Drohpotenzial, das zwar nicht eingesetzt wurde, aber jederzeit bereit war, die Welt zu vernichten. Weiters gab es die heißen Kriege mit direkter Beteiligung einer der Supermächte. Der Koreakrieg 1950 bis 1953 forderte mehr als vier Millionen Tote, der Vietnamkrieg 1964 bis 1974 mehr als drei Millionen, und bei der sowjetischen Intervention in Afghanistan 1979 bis 1989 starben mehr als eine Million Menschen. An den Kriegen in Afrika waren die Supermächte indirekt mit Waffenlieferungen, Beratern sowie politisch-ideologisch beteiligt. Die Guerillaaufstände in Lateinamerika wurden oft fälschlich im Namen der kommunistischen Gefahr bekämpft. Umgekehrt wurde das Aufbegehren in Osteuropa (Ungarn 1956, Tschechoslowakei 1968 und Polen 1981) mit dem Vorwand zur Rettung des Kommunismus niedergeschlagen. Die Blockteilung in Europa, die Teilung Koreas, Vietnams und Deutschlands kosteten über die Jahrzehnte des Kalten Krieges tausende Menschenleben und Milliarden Dollar für die Besatzungsmächte. Die USA unterstützten rechte Diktaturen, die Sowjetunion schuf kommunistische.

Die Entspannungspolitik zwischen Ost und West seit Ende der 1960er brachte keine Lösung des Konfliktes zwischen den Supermächten, aber verringerte die gegenseitige Bedrohung. Rüstungskontrollverhandlungen brachten keine Abrüstung, aber mehr Berechenbarkeit und Informationen zu Rüstungspotenzialen. Mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) wurden die Grenzen in Europa anerkannt, eine gewaltsame Veränderung ausgeschlossen und gemeinsame Werte formuliert, die letztlich zur Aufweichung des Ostblocks beitrugen. Die deutsche Ostpolitik sollte Wandel durch Annäherung und das Viermächteabkommen freien Zugang zu Berlin bringen. Der Vietnamkrieg war für die Entspannungspolitik kein Hindernis; er endete 1975.

Einerseits bedeutete das Ende des Kalten Kriegs einen Schub in der Zivilisierung der internationalen, vor allem der europäischen Verhältnisse. Große Teile Osteuropas, Russland eingeschlossen, wandten sich ab 1990 marktwirtschaftlichen und demokratischen Parametern zu. Kooperation und Integration der bisher getrennten Teile des Kontinents fanden ihren besonderen Ausdruck in der Überwindung der Teilung Deutschlands. Die Aufwertung der KSZE zur OSZE spiegelte das Bestreben wider, ein neues europäisches und transatlantisches Sicherheitssystem zu etablieren. Zum ersten Mal seit Errichtung des "Eisernen Vorhangs" kam es zu substanziellen Abrüstungsschritten.

Fast simultan formierten sich Gegentrends. Strukturell waren sie auf jene großen Konfliktkonstellationen zurückzuführen, die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts die Hintergrundbedingung für gigantische Schübe von Gewalt und Krieg darstellten: die Auseinandersetzung über Spielregeln und Dominanz in der globalen und auch regionalen Ordnungspolitik.

Nach dem Ende des Kalten Kriegs erstreckten sich diese Auseinandersetzungen von Afghanistan über Nahost und Teile Afrikas bis Europa, wo um die Neuordnung Südosteuropas und des Südkaukasus zehn Jahre lang Krieg geführt wurde. Die Folge waren hunderttausende Tote, Millionen Vertriebene, fragile Staaten und eingefrorene Konflikte; in Europa stehen dafür Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Moldawien/Transnistrien, Süd-Ossetien, Abchasien und Nagorny-Karabach. Das
Gewaltniveau erreichte dort aber nicht das Ausmaß des Kalten Kriegs.

Vor dem Hintergrund der Beteiligung hochtechnisierter Streitkräfte externer Akteure avancierten "asymmetrische Kriege" zu einem Muster in diesen Auseinandersetzungen. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington wurden zum Menetekel künftiger Bedrohung. Zugleich bedeutete das Ende des Kalten Kriegs den Wegfall der Unterstützung, die Klientelregimes aufgrund der Konkurrenz zwischen den USA und der Sowjetunion erhalten hatten.

Nun entbrannten in vielen Ländern und Regionen, die zuvor von der Rivalität der Supermächte profitiert hatten, Auseinandersetzungen über die künftige Richtung gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Entwicklung. Die demokratischen Aufbruchsbewegungen in Europa, ökonomische Defizite, die infolge einer nach dem Kalten Krieg beschleunigten Ökonomisierung und Globalisierung der internationalen Beziehungen an der Peripherie noch deutlicher hervortraten, eine demografische Entwicklung und die Unzufriedenheit der Jugend nicht zuletzt in jenen Ländern, die an Europa grenzten, ließen die Bereitschaft wachsen, mit Gewalt die Verhältnisse ändern zu wollen. Diese Strukturen, Prozesse und Akteure konterkarierten zunehmend Hoffnungen auf eine dauerhafte Friedensordnung, wie sie nach den Umbrüchen von 1989/91 erwartet worden war.