Der Mensch spielt gerne. Auch sich zu verkleiden und in neue Rollen zu schlüpfen, liegt vielen. Belohnungen sind ebenso erwünscht, und in einer Gruppe Erfahrungen sammeln gehört zum Leben ebenso dazu wie arbeiten. Was liegt also näher, als diese Punkte zu verknüpfen und daraus eine sinnvolle Lern- und Lebenserfahrung zu machen. Genau diese Verbindung ist das Herzstück und der Grundgedanke der sogenannten "Gamification".

Hinter diesem Schlagwort und Trendbegriff, der nun schon einige Jahre einen regelrechten Hype erfährt, versteht man die Integration spieltypischer Elemente und Prozessen in spielfremdem Kontext. Dabei werden zu den spieltypischen Elementen unter anderem Erfahrungspunkte, Highscores, Fortschrittsbalken, Ranglisten, virtuelle Güter oder Auszeichnungen gezählt. Deren Integration etwa im Teambuilding, Coaching oder auch beim Lernen in die Aufgabenstellungen soll im Wesentlichen eine Motivationssteigerung der handelnden Personen erreichen, die ansonsten wenig herausfordernde, als zu monoton empfundene oder zu komplexe Aufgaben erfüllen müssten.
Der Hype der vergangenen Jahre ist nun einer reflektierten Bodenhaftung gewichen, die dazu führt, dass immer mehr Firmen den Wert erkennen und Spiele als Tool im Arbeitsprozess einsetzen. Die Spreu trennt sich langsam vom Weizen, sinnvolle Einsatzgebiete werden ebenso klar abgesteckt wie die Grenzen des Machbaren und Sinnhaften. "Gamification" ist nämlich ziemlich viel, aber sicher kein Spiel.
Zahlreiche Experten und Analysten, die in diesem Bereich unterwegs sind, haben die Gründe für den Wandel in den vergangenen Jahren zu erklären versucht und sind dabei meist auf einen großen Denkfehler gestoßen, dem die Unternehmen aufgesessen sind. "Gamification ist kein Spiel", meint etwa Michael Wu, einer der Vordenker des Spielefaktors in der Arbeit und wissenschaftlicher Leiter bei Lithium, einem US-Unternehmen für soziale Netzwerke und Anwender-Einbindung. Es geht nicht darum, dass Arbeit zu einem Spiel wird, sondern darum, dass Arbeitsabläufe spielerisch optimiert und Ressourcen von Mitarbeitern und Kunden gehoben werden sollen. Es sei keine Unterhaltung, sondern sehr wohl Arbeit, nur eben mit einem motivierenden Spaßfaktor.
Wie schon Mary Poppins wusste ("Denn seht ihr, in jeder Arbeit, merkt euch das, steckt auch ein kleines bisschen Spaß. Versteht den Spaß, und schnapp, die Arbeit klappt"), ist Spaß immer auch ein Lernen, ein Anwachsen an Erfahrung und eine Triebfeder für Erfolg. Daher verwundert es auch nicht, dass gerade bei Kindern und in Schulen, wo spielerisches Lernen ohnehin schon immer gelebt wurde, das weite Feld der "Gamification" auf einen fruchtbaren Boden fällt.
Die Palette an Möglichkeiten ist dabei nahezu unbegrenzt: vom Wiener Lehrer, der seine Schüler nach einem Bewertungssystem, das am bekannten Rollenspiel "World of Warcraft" orientiert ist, benotet, bis hin zu Computerspielen, die über Krankheiten informieren, oder Apps, die beim Lernen helfen sollen.
In der Praxis bedeutet dies, dass keine goldenen Sternchen mehr vergeben werden, sondern dass die Schüler mit Erfahrungspunkten (Experience Points, kurz XP-Points) belohnt oder besser gesagt benotet werden. Somit wird aus dem kleinen Max aus der dritten Reihe, sofern er seine Hausaufgaben macht, mitarbeitet, seinen Mitschülern hilft oder kluge Fragen stellt, im Laufe eines Schuljahres ein mächtiger Zauberer der Stufe 5 mit 300 Erfahrungspunkten. Da das System transparent ist, sieht auch jeder Schüler, wie viele Punkte für die Erlangung der nächsten Stufe, ergo der besseren Note, noch zu sammeln sind.
Noch ein Knackpunkt ist beim spielerischen Lernen und Arbeiten mit Belohnungssystemen zu erkennen - die Nutzer müssen wissen, was ein Rollenspiel ist und wie Belohnungssysteme funktionieren, aber auch mehr oder weniger großes Interesse an technischen Lösungen und Innovationen zeigen. Am einfachsten ist dies wohl am Beispiel der unzähligen Smartphone-Programme, der sogenannten Apps, zu erklären. Hier haben sich in den unterschiedlichsten Bereichen Programme mit einem "Gamification"-Anteil etablieren können. Es gibt Fitness-Apps, die Belohnungen und Punkte vergeben, wenn die Trainingsziele erreicht wurden, oder Lauf-Apps, bei denen man virtuellen Zombies davonlaufen muss und so Erfahrungspunkte sammeln und mit anderen teilen kann, aber auch Bewertungs- und Beratungs-Apps, in denen richtig beantwortete Fragen oder hilfreiche Lösungsvorschläge zu einem höheren Ranking und damit zu mehr virtuellem Ansehen führen.
Es zeigt sich aber auch, dass jemand, der nicht laufen will, auch nicht laufen wird, wenn er von virtuellen Zombies durch die Stadt gejagt wird. Nicht jeder möchte seine Daten in Bestenlisten sehen oder sich hinter einer virtuellen Fantasie-Figur, einem sogenannten Avatar, verstecken. Doch ist die wachsende Verbreitung der kleinen Dienstprogramme am Mobiltelefon als großer Treiber zu verstehen.
Denn ein weiterer großer Denkfehler liegt darin, anzunehmen, dass Spielen per se nur für jüngere Arbeitnehmer ein Thema wäre. Es zeigt sich, dass es nicht um die Lebensjahre, sondern um die Offenheit und die Erfahrung geht. Gerade hier haben die Entwicklungen am Smartphone-Markt gezeigt, dass die oft zitierte Scheu der Älteren vor modernen Kommunikationsmitteln an der Handhabung und nicht an der Technik liegt. Die Angst, am Computer eine falsche Taste zu drücken und sich dann als unwissend outen zu müssen, verschwindet in einer Welt der Apps. Denn dort führt ein Knopfdruck zum Ziel - ohne erst kompliziert Adressen im Browser eintippen zu müssen oder einen Rechner hochzufahren.