Charlotte Shortback teilt die moderne Geschichte in zwei Epochen ein. Aus der Sicht des beginnenden 24. Jahrhunderts hätte sie am liebsten im Accelerando gelebt. Damals, zwischen 2160 und 2200, dehnte sich die Lebenszeit der Menschen endlich aus und wurde der Mars kolonisiert. Diesem Zeitalter des Fortschritts folgte das Ritardium, als die Mars-Bevölkerung den Kontakt zu Erde abbrach. Weit davor existierte auch eine dunkle, völlig unnachvollziehbare Epoche, in der sich die Menschheit unablässig ins eigene Knie schoss. Eigentlich hatte sie den Klimawandel schon ab 2005 recht gut verstanden, doch sie tat einfach nichts dagegen. Charlotte nennt diese Jahre der Stagnation, die sich bis 2060 zogen, spöttisch "das Herumgeeiere".

Charlotte Shortback ist eine Figur in Kim Stanley Robinsons Science-Fiction-Roman "2312", und Robinson ist einer der wenigen Autoren des Genres, die sich mit den Folgen des Klimawandels befassen. In seiner Zukunft hat die Erwärmung unseren Planeten in einen feuchten Dschungel verwandelt. New York City steht zehn Meter unter Wasser. Im alpinen Raum tut man alles, um die Gletscher mit flüssigem Stickstoff und Schutzkonstruktionen in den Gebirgshöhen zu halten.
Wissenschaftliche Präzision ist selten die Sache von Science-Fiction-Autoren: Ziemlich sicher wird es auf der Erde nie so aussehen. Aber selbst wenn sich alle 195 Staaten, die nun das Weltklimaabkommen in Paris unterzeichnet haben, an ihre Versprechen halten, werden wir den Klimawandel nicht mehr los.
Zur Erinnerung: Am 12. Dezember unterzeichneten die Vertreter von rund 200 Staaten beim 21. UNO-Klimagipfel in Paris ein neues Abkommen, das die Erderwärmung auf unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter begrenzen soll, möglichst sogar auf 1,5 Grad. Um Entwicklungsländer bei der Senkung ihrer Treibhausgasemissionen und der Bewältigung der Folgen zu helfen, werden Industrieländer 100 Milliarden Dollar pro Jahr ab 2020 zur Verfügung stellen. Entwicklungsländern wird mehr Zeit eingeräumt, den Anstieg der Emissionen zu stoppen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts soll ein Gleichgewicht erreicht werden zwischen dem Ausstoß von Treibhausgasen und deren natürlicher Absorption. Eine erste globale Überprüfung, inwieweit die Staaten ihre selbst gesetzten Verpflichtungen einhalten, ist für 2023 vorgesehen und danach alle fünf Jahre. Es wurden allerdings keine Sanktionen festgelegt für Länder, die ihre Ziele verfehlen. Es besteht keine Pflicht zum Klimaschutz.
Schon allein das Vorhandensein von genügend Vorräten an treibhausgaswirksamen, fossilen Energieträgern macht die Versuchung groß, bis Ende des Jahrhunderts die Welt so zu beheizen wie bisher. Auch der niedrige Ölpreis und der berechtigte Anspruch von Schwellen- und Entwicklungsländern auf Wachstum könnten die Pariser Vision zum Scheitern bringen. Für die Zukunft ergeben sich somit zwei Szenarien: Eines, wenn die Länder sich selbst sabotieren und ihre Vorsätze nicht einhalten. Und ein anderes, in dem wir gerade noch die Kurve kratzen.
Ausgehend davon, dass jedes Land seine Klimaziele erreicht und die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden kann, erscheint in etwa 50 Jahren, also im Jahr 2065, folgendes Szenario durchaus realistisch: In den Städten leben doppelt so viele Menschen wie heute. Neue Siedlungen sind Plusenergiebauten. Der Immobilienmarkt ist im Umbruch. Alte Häuser stehen nur noch als Hüllen, ihr neuer Kern macht es möglich, dass sie mehr Energie abgeben, als sie verbrauchen.
Öffis und Bahn fahren emissionsfrei und sind profitabel, weil Privatpersonen und Unternehmen von ihnen abhängig sind. Tickets für Nah- und Fernverkehr kosten die Hälfte. Die U-Bahnen fahren in kürzeren Intervallen, die längeren Züge der ÖBB schneller. Allerdings kann man ohne Sitzplatzreservierung nicht einsteigen. Wer eine Jahreskarte für sein Fahrrad kauft, kann es günstiger mitnehmen, und wer auf einem Auto besteht, fährt mit Strom oder Wasserstoff und zudem nicht selbst. Ausgewählte Exemplare der (heute eine Milliarde) Benziner und Dieselfahrzeuge stehen in Oldtimer-Museen, alte Öl- und Gasheizungen auf dem Schrottplatz.
In den Restaurants isst man nur noch vegetarisch, einzig in Gourmet-Tempeln sind Steaks vom Bio-Weiderind für an die 100 Euro zu haben. Wer sich das nicht leisten kann, stillt seinen Heißhunger nach rotem Fleisch mit Eisentabletten.
Im Flachland ist die Windstärke gestiegen. Das ist gut für die Windparks im Burgenland, die dadurch für Ostösterreich rund um die Uhr Strom garantieren können: Im Unterschied zum Bergland darf hier die Wäsche gewaschen werden, wann die Hausfrau will. Wegen eines erhöhten Aufkommens an Sturmböen muss das Land die Bodenverankerungen für Windräder aufrüsten und wegen der Temperaturen die Radwege rund um den geschrumpften Neusiedler See ausbauen, damit die Touristen nicht an den Plattensee fahren. Alles bis auf den letzten Satz geht aus Prognosen des Klimaforschers Nebojsa Nakicenovic, Vizedirektor des Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg, hervor.