Berlin.Der Kapitalismus ist gefährdet - durch sich selbst. Wird er nicht gezügelt, produziert er keinen Wohlstand, sondern Wirtschaftskrisen. Auch politisch sind Rezessionen gefährlich, weil viele Menschen Angst um ihre Zukunft haben und in die simple Welt der Rechtspopulisten flüchten.
Es muss daher beunruhigen, dass sich die Finanzkrisen häufen. In nur zehn Jahren hat Österreich drei Krisen erlebt: 2001 platzte die Internetblase, 2007 rollte die Finanzkrise aus den USA heran, und seit 2010 ist die Eurokrise akut. Nie ist es in der Geschichte Europas vorgekommen, dass sich drei Finanzkrisen in einem Jahrzehnt entluden. Zudem drohen weitere Crashs. Seit Jahrzehnten pumpt sich weltweit eine "Superblase" auf, wie es Hedgefonds-Manager George Soros genannt hat, und noch immer ist diese "Superblase" zum Zerreißen gespannt. Die drei vergangenen Krisen haben zwar kleine Löcher in die Blase gestochen, aber die heiße Finanzluft ist noch lange nicht abgesaugt.
Die Nervosität auf den Finanzmärkten hat inzwischen auch die Bürger erfasst. Viele kaufen hektisch ein Haus oder eine Wohnung, um in scheinbar sicherere "Sachwerte" zu investieren. Doch diese Flucht ins steinerne Gold wird nichts nutzen: Es gibt keine individuelle Lösung, die vor einer Finanzkrise schützt. Eine Rezession trifft jeden - Arbeitnehmer genauso wie Aktionäre, Hausbesitzer oder Sparer.
Wie das Unglück begann
Wer den Kapitalismus - und die Demokratie - retten will, muss Finanzkrisen vermeiden. Aber wie? Dies führt zurück zur Frage, warum Crashs neuerdings so häufig sind und seit wann sich die "Superblase" aufpumpt.
Die Zäsur war das Jahr 1973. Damals brach das Weltwährungssystem Bretton Woods zusammen, das bis dahin alle westlichen Währungen an den Dollar gekoppelt hatte. Die Devisenkurse schwankten plötzlich, was wiederum auf die Zinsen, Aktienkurse und Rohstoffpreise zurückwirkte, die ebenfalls nicht mehr stabil waren. Viele Firmen kamen in Bedrängnis und mussten sich absichern: Exportunternehmen in Österreich wollten wissen, was der Dollar in drei Monaten wert sein würde, wenn ihr US-Kunde zahlte. Fluglinien benötigten eine Kalkulationsbasis für das Öl, das sie in Zukunft verbrauchen würden. Betriebe, die Zahlungsziele vereinbarten, wollten stabile Zinsen.
Die Firmen kauften daher Derivate. Diese "Termingeschäfte" fixieren vorab, wie hoch Zinsen, Rohstoffpreise oder Währungskurse zu einem bestimmten Zeitpunkt sein sollen. Meist läuft der Kontrakt drei Monate und kostet nur eine kleine Gebühr. Das Derivat ist also eigentlich eine kluge Erfindung - nur leider eignet es sich bestens für die Spekulation, weil der "Hebeleffekt" gigantisch ist. Mit minimalen Einsätzen lassen sich maximale Gewinne einfahren. Allerdings sind die Verluste genauso enorm, wenn es schlecht läuft.
Kaum fingen die Behörden an, Derivate zuzulassen, erlaubten sie schließlich alles: Seit 1982 durften auch Terminkontrakte auf Aktien abgeschlossen werden, obwohl dies keinen volkswirtschaftlichen Sinn hatte. Aber daran störte sich niemand, denn man glaubte noch ungetrübt an die höhere Weisheit der Finanzmärkte.
Der Umsatz mit Derivaten explodierte. Im Dezember 2015 betrug der Nominalwert der außerbörslich gehandelten Derivate weltweit 493 Billionen Dollar. Mit einer "Absicherung" von realen Geschäften realer Firmen haben diese Wetten nichts zu tun, denn die globale Wirtschaftsleistung betrug 2015 insgesamt nur rund 73 Billionen Dollar. Die Spekulation führt längst ein Eigenleben und hat sich von der Wirklichkeit entkoppelt. Seit 1973 ist es deutlich profitabler, sich auf den Finanzmärkten zu tummeln, als in die Realwirtschaft zu investieren.
Die Banken hatten nie Mühe, ihre Spekulationsgeschäfte zu finanzieren, denn sie produzierten das nötige Geld einfach selbst. Sie missbrauchten ihr Privileg, dass sie Geld schöpfen können.
Viele Menschen stellen sich fälschlich vor, dass Banken nur eine Art Vermittler sind, die erst das Geld der Sparer einsammeln und es dann weiter verleihen. Doch die Realität sieht anders aus: Die Banken benötigen überhaupt keine Sparer, um Kredite gewähren zu können. Wenn eine Bank ein Darlehen vergibt, bucht sie das Geld einfach auf das Konto ihres Kunden. Fertig. Das Geld entsteht im wahrsten Sinne des Wortes "aus dem Nichts".
Diese Geldschöpfung ist harmlos, solange die Darlehen genutzt werden, um in die Realwirtschaft zu investieren. Dann nimmt die Menge der produzierten Waren ebenfalls zu, sodass das neue Geld durch die gestiegene Wirtschaftsleistung gedeckt ist. Brandgefährlich wird es erst, wenn sich die Banken gegenseitig Kredite gewähren, um Geld zu schöpfen, mit dem sie dann spekulieren können. Genau dieser Wahnsinn hat die "Superblase" aufgepumpt.
Man muss das "Finanzkasino" also schließen. Diese Einsicht hat sich auch bei den Politikern durchgesetzt, doch leider wählten sie den falschen Weg: Sie setzten auf detailverliebte Regulierung. Seit der Finanzkrise 2008 haben die Europäer 34.019 Seiten an Vorschriften produziert, um die Banken einzuhegen. Doch gebracht hat es nichts; die Spekulation grassiert weiter. Ein schönes Beispiel ist die Deutsche Bank, die in ihrer Bilanz aktuell Derivate in Höhe von 542 Milliarden Euro ausweist. Kredite hingegen spielen kaum noch eine Rolle.