Bamako. Im westafrikanischen Staat Mali kämpfen die Menschen seit Jahren ums Überleben. Die durchschnittliche Lebenserwartung der rund 14,5 Millionen Einwohner, darunter etwa 300.000 Angehörige des Berbervolkes der Tuareg, liegt bei nur 53 Jahren. Das 1,2 Millionen Quadratkilometer große Land am Südrand der Sahara ist einer der wichtigsten Baumwollproduzenten Afrikas. Dürreperioden haben der Landwirtschaft aber nachhaltig geschadet.

In den 1980er Jahre hatten viele Tuareg nach einer Dürre Mali verlassen. Als sie zurückkehrten, führten sie Krieg gegen die Regierungstruppen. Nach langen Verhandlungen wurden die Tuareg in Malis Armee integriert. Auch Libyens Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi rekrutierte Tuareg für seine Streitkräfte. Nach Gaddafis Sturz schlossen sich viele von ihnen den Aufständischen im Nordosten Malis an.

Ein Militärputsch gegen die Regierung von Präsident Amadou Toumani Touré konnte den Vormarsch der mit Islamisten verbündeten Rebellen nicht stoppen. Die Gruppe Ansar Dine ("Verteidiger des Glaubens") rief gemeinsam mit der Tuarag-Bewegung MNLA ("Nationale Bewegung für die Befreiung von Azawad") im April die unabhängige "Islamische Republik Azawad" aus. Seit der Machtübernahme der Islamisten flohen Hunderttausende aus dem Gebiet. In der Stadt Timbuktu, wo drei große Moscheen sowie 16 Friedhöfe und Mausoleen zum Weltkulturerbe gehören, ließ Ansar Dine mehrere dieser historischen Heiligtümer zerstören.


Tuareg und Islamisten

Spannungen zwischen Tuareg und Islamisten eskalierten inzwischen zu offenen Kämpfen. Die MNLA kündigte das Bündnis auf, weil sie die von Ansar Dine geforderte Einführung der Scharia ablehnt. Bei Gefechten der Tuareg mit Kämpfern der mit Ansar Dine verbundenen "Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika" (MUJAO) wurden Ende Juni in der Stadt Gao mindestens 20 Menschen getötet.

Ansar Dine werden Verbindungen zur "Al-Kaida im Islamischen Maghreb" (AQMI) nachgesagt, die nach dem Zusammenbruch des Gaddafi-Regimes in Libyen in den Besitz libyscher Waffen und umfangreicher Rüstungsgüter gelangte. Um das Chaos im Land zu stoppen, forderte die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS die Übergangsregierung in Bamako auf, die Vereinten Nationen um eine militärische Intervention zu bitten.

Wird Mali zu Afrikas Afghanistan?
Im Norden Malis wüten Radikalislamisten, im Süden vergnügen sich die Menschen in Cafés. Der ins Chaos abgerutschte Staat braucht dringend eine starke Regierung. Sonst gerät die ehemalige französische Kolonie in Westafrika zunehmend unter die Kontrolle von Fanatikern.

Vor vier Monaten hatten sich Militärs an die Macht geputscht. Aber auf den Straßen der Hauptstadt Bamako ist von der Krise kaum etwas zu spüren. Es ist Ramadan und somit etwas ruhiger als gewöhnlich. Der Betrieb in den Cafés und Restaurants läuft weiter, als hätte es nie einen Putsch gegeben.

"Im Süden ist alles o.k., wir haben hier keine Probleme", bringt es der Taxifahrer Kaido auf den Punkt. "Aber die Medien stellen es so dar, als ob ganz Mali in der Krise steckt." Ein anderer Bürger Bamakos fügt hinzu: "Wir sind Muslime, aber wir wollen zu nichts gezwungen werden. Wir wollen hier keine Taliban."

Der Vergleich ist passend, denn was sich derzeit im Norden Malis abspielt, ist laut Beobachtern vergleichbar mit der Situation in Afghanistan. Die Angst geht um, dass auch Teile Malis für lange Zeit zum Synonym für islamistischen Terror werden könnten.

Die in der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) organisierten Nachbarländer versuchen verzweifelt, eine Loslösung des Nordens mit der Bezeichnung "Azawad" in letzter Minute zu verhindern. (Der Staatengemeinschaft gehören Benin, Burkina Faso, Côte d'Ivoire, Guinea, Mali, Mauretanien, Niger, Senegal, Togo, Gambia, Ghana, Liberia, Nigeria, Sierre Leone, Guinea-Bissau und Kap Verde an.)

Die Anhänger verschiedener islamistischer Gruppen - die jetzt den gesamten Norden kontrollieren - haben bereits damit begonnen, die Scharia einzuführen. Sie räumen jeden aus dem Weg, der sich ihrer grausamen Auslegung der islamischen Rechtsprechung in den Weg stellt. So geschehen am vergangenen Wochenende, als ein unverheiratetes Paar zu Tode gesteinigt wurde. Internationale Menschenrechtsorganisationen verurteilten die Tat als "grausam und entsetzlich". Die Steinigung mache das "Klima der Angst" deutlich, das die Rebellen in den eroberten Gebieten geschaffen hätten, hieß es in einer Mitteilung von Amnesty International.

Die Liste der neuen Vorschriften und Verbote liest sich wie ein Gesetz aus der Steinzeit: Männer und vor allem Frauen müssen einem strengen Kleiderkodex folgen, sämtliche nichtreligiöse Musik wurde verboten, Filmvorführungen wurden eingestellt und unverheiratete Paare dürfen weder gemeinsam über die Straßen laufen, noch in öffentlichen Verkehrsmitteln nebeneinandersitzen. Einschüchterungen und sogar Tötungen von Menschen, die sich dem widersetzen, sind an der Tagesordnung. Auch wertvolle Heiligtümer wurden bereits wie in Timbuktu dem Erdboden gleichgemacht.

Ziel der Rebellen ist es, einen islamistischen Separatistenstaat zu errichten. Mali scheint bereits aus zwei völlig verschiedenen Teilen zu bestehen. Wichtig ist es nun, so schnell wie möglich eine starke Einheitsregierung zu bilden, die die nach dem Putsch im April eingesetzte Übergangsregierung ablöst und für Ordnung sorgt.

In Bamako geht das Leben unterdessen weiter, und Steinigungen und Scharia scheinen weit entfernt. Lediglich die einst blühende Tourismusbranche ist eingebrochen, denn niemand will Urlaub in einem Konfliktland machen. Zudem liegen fast alle Sehenswürdigkeiten Malis im Norden. "Alles ist o.k. in Bamako, wir machen weiter, als gäbe es keine Krise", sagt Zigarettenverkäufer Salid. "Wir wollen essen, trinken, tanzen und Sex haben - und niemand sollte versuchen, uns daran zu hindern."