In Afrika droht einmal ein neuer Kriegsschauplatz. Niemand will die im April einseitig verkündete Unabhängigkeit von "Azawad" in Nordmali inmitten der endlosen Sahara hinnehmen. Grundsätzlich befürworten die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die Afrikanische Union (AU) notfalls eine gewaltsame Beendigung des islamistischen Spuks im Sahel.

Erst jüngst berichtete der stellvertretende UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Ivan Simonovic, von "schrecklichen Menschenrechtsverletzungen" in Nordmali. Es gebe Hinrichtungen, Amputationen und Steinigungen. Vor allem die Frauen seien völlig entrechtet - von ihnen sind dort laut der Weltgesundheitsbehörde WHO 90 Prozent ohnehin genitalverstümmelt.

Islamistischen Milizen kaufen laut Simonovic Kinder für ein paar hundert Dollar von ihren Eltern, um ihre Reihen aufzufüllen. Der Sprecher der Islamistengruppe MUJAO, Sidi Mohamed, dementierte dies und sagte zugleich: "Die, die kommen, sind verantwortlich genug, sie müssen nicht zwangsverpflichtet werden, es geht ihnen um den Glauben".

MUJAO, die islamistische Ansar Dine (verbündet mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida im Maghreb) und andere kleinere Organisationen beherrschen seit April Nordmali mit seinen etwa 1,4 Millionen Einwohnern. Früher galten die rebellischen Tuareg als dominierende Kraft in dem Gebiet, das mehr als doppelt so groß wie Deutschland ist. Nicht nur die Einführung des islamischen Rechtssystems Scharia oder die Zerstörung von angeblich "gotteslästerlichen" Kulturdenkmälern in Timbuktu zeigen die Dominanz der Islamisten.

Sie verbreiten weit über das Wüstenland hinaus Angst und Schrecken: "Die Krise hat das Potenzial, auf die ganze Region, sogar ganz Afrika überzugreifen", warnte die neue AU-Kommissionsvorsitzende, Nkosazana Dlamini-Zuma. Auch Europa und die USA fürchten ein neues Afghanistan im Sahel. Verhindert werden soll ein islamischer Gottesstaat, in dem Terrorgruppen wie Al-Kaida eine sichere Basis haben - so wie es Afghanistan vor dem westlichen Militäreinsatz ab 2001 war.

Dlamini-Zuma verkörpert den Anspruch Afrikas, künftig selbst die Konflikte auf dem Kontinent zu lösen. Hier gab es viel Verbitterung, als die Bürgerkriege in Cote d'Ivoire und in Libyen von westlichen Militärs entschieden wurden. Nun sollen "Friedenstruppen" der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) gemeinsam mit Soldaten Malis eingreifen. Aber es bestehen erhebliche Zweifel an den Erfolgsaussichten einer afrikanischen Mission. "Es fehlt fast an allem, an Ausrüstung, Ausbildung und Erfahrung. Zudem stehen diese Soldaten leider im Ruf, Hasenfüße zu sein", meinte seufzend ein ranghoher europäischer Diplomat auf dem Weg nach Bamako.

In der malischen Hauptstadt Bamako versammeln sich am Freitag alle Beteiligten, um eine gemeinsame Strategie zu finden. Die EU beschloss, dass EU-Experten Malis Truppen trainieren sollen. Frankreich und die USA leisten auf verschiedenen Ebenen finanziell, militärisch und logistisch Hilfe - aber alle betonen, dass sie keine eigenen Truppen entsenden wollen. "Wir hoffen noch immer auf eine friedliche Lösung", so ein europäischer Diplomat. Niemand wisse, wie Paris reagieren werde, wenn es hart auf hart komme - ob dann nicht doch beispielsweise die Fremdenlegion eingreife. Frankreich war bis 1960 Kolonialmacht in Mali.

Noch sei es für eine Einigung in Mali - etwa mit einem weitgehend autonomen Norden - nicht zu spät, mahnt die AU. Obwohl Afrika einen Islamistenstaat fürchtet, lehnen viele eine Intervention ab. Skepsis gibt es in Mali selbst, aber auch beim Nachbarn Algerien, das vor einem Flächenbrand warnt. Der Politologe Abdelkader Abderrahmane vom Politikinstitut ISS in Addis Abeba meint, es drohen "dramatische Konsequenzen" für die ganze Region. Der Kampf gegen Terroristen in der unwegsamen Wüste werde für die ECOWAS-Truppen "zur Hölle".

Das Treffen in Bamako, ein für November angekündigte UNO-Bericht zu Mali sowie eine zweite Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat sind wohl die letzten Hürden vor einer militärischen Intervention. Die Vorbereitungen dafür sind westlichen Diplomaten zufolge aber auch der Aufbau einer "Drohkulisse", um die keineswegs homogene Front im Norden Malis zu beeinflussen, vielleicht sogar zu spalten. "Es gibt auch im Norden moderate Kräfte." Auch in einer ISS-Studie heißt es, es gebe "eine gute Chance", zumindest die Tuareg zu überzeugen.

Denn die Lage der Menschen im Norden Malis hat sich drastisch verschlechtert. Schulen seien geschlossen worden, viele Menschen hungerten, berichtete Simonovic. Drogen- und Menschenhandel blühten. Seit dem Frühjahr sind über 300.000 Menschen aus dem Norden Malis geflohen. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach angesichts der anhaltenden Dürre im Sahel von einer "Multi-Krise".

(dpa)