
Als die 23-jährige Maria Theresia im Jahr 1740 an die Regierung gelangte, erkannte sie bald, dass es um die medizinische Fakultät in Wien schlecht bestellt war. Diese agierte eher als lokale Gesundheitsbehörde und wachte eifersüchtig über ihre mittelalterlichen Privilegien. Im holländischen Leiden war man auf dem Gebiet der Medizin bereits viel fortschrittlicher. Diese Erkenntnis wollte Maria Theresia vor allem für ihre ständig wachsende Kinderschar nützen. So lag es nahe, einen besonders gut ausgebildeten holländischen Arzt an der Seite zu haben: Gerard van Swieten, der 1745 nach Wien geholt wurde. Zu dieser Zeit hatte Maria Theresia bereits sieben Kinder auf die Welt gebracht. Zwei Töchter waren als Kleinkinder gestorben. Weitere Kinder folgten, übernahmen die Vornamen der Verstorbenen. Eine ständige Gefahr drohte von der Pockenkrankheit, den Blattern. Überlebende waren entstellt, wie dies bei Maria Theresias Tochter Maria Elisabeth der Fall war. Von den elf Töchtern und fünf Söhnen Maria Theresias und Franz Stephans erreichten zehn das Erwachsenenalter.
Gerard van Swieten wurde 1700 als Sohn eines Notars in Leiden geboren und katholisch getauft. Er studierte an der Hochschule im belgischen Löwen zunächst Philosophie und dann Medizin. In Leiden schloss van Swieten im Alter von 25 Jahren bei Herman Boerhaave, einem der berühmtesten Ärzte seiner Zeit, das Medizinstudium ab. Der Tod seines Förderers Boerhaave im Jahr 1738 verhinderte eine weitere Karriere van Swietens.
Der Weg nach Wien
In Leiden bestanden für Katholiken kaum Aufstiegsmöglichkeiten. Galten doch diese in der protestantischen Republik der "Sieben Vereinten Provinzen" (Holland war eine davon) als zweitrangige Bürger. Van Swieten begann trotzdem, in lateinischer Sprache ein umfangreiches Werk über die Behandlung verschiedener Krankheiten zu verfassen. Das Werk erregte Interesse.
Über den Staatskanzler Graf Wenzel Anton Kaunitz, der anerkennende Berichte über van Swieten aus Brüssel sandte, wurde Maria Theresia auf den holländischen Arzt aufmerksam. Kaunitz war es auch, der 1744 van Swieten nach Brüssel an das Wochenbett von Maria Theresias einziger Schwester Maria Anna zu einem Konsilium berufen hatte. Maria Anna war die Gemahlin Prinz Karls von Lothringen, des Statthalters der österreichischen Niederlande. Doch van Swieten konnte den Tod der Kranken nicht verhindern. Sie starb am 16. Dezember 1744. Maria Theresia dankte dennoch dem Arzt brieflich für seine Bemühungen und versicherte ihm ihr Vertrauen und ihre Freundschaft.
Dieses Entgegenkommen gab wohl den letzten Anstoß für den noch zögernden van Swieten, mit seiner Familie nach Wien zu übersiedeln. Er bezog eine Amtswohnung im Hofburgkomplex am Josefsplatz 1. Auch in Schönbrunn wollte Maria Theresia täglich mit ihrem Lieblingsarzt konferieren. Sie stellte ihm daher ein Palais am Rande des Schönbrunner Parks zur Verfügung. (Hietzinger Hauptstraße 1, heute Postamt)
Van Swieten saß nicht nur nächtelang am Krankenbett der kaiserlichen Kinder, er arbeitete auch eine Diät für die gesamte Familie der Monarchin aus. Nicht in allen Bereichen stimmte er mit Maria Theresia überein: Van Swieten hatte eine Abneigung gegen höfischen Prunk und starre Rangordnung. "Doe maar gewoon, dan doe je al gek genoeg" ("Verhalte dich normal, das ist schon verrückt genug") war seine typisch holländische Devise - die bis heute in den Niederlanden gilt.
Van Swieten war nicht nur Leibarzt, sondern gleichzeitig auch Präfekt der Hofbibliothek, Präses der medizinischen Fakultät, oberster ziviler und militärischer Sanitätschef der Erblande, Präsident der Zensur- und der Studienhofkommission.
Als staatliches Aufsichtsorgan, als Präses facultatis, reformierte van Swieten die medizinische Fakultät, beaufsichtigte Prüfungen und stellte das bisher übliche, um teures Geld im Ausland absolvierte Medizinstudium ab. Nur im Inland promovierte Ärzte, von deren fachlicher Eignung sich van Swieten persönlich überzeugt hatte, erhielten eine Anstellung. Es war ein weiterer Eingriff in die Privilegien der medizinischen Fakultät, als ihr van Swieten das Recht der Ernennung der Professoren entzog, eine straffe Prüfungsordnung aufstellte und neue Professoren berief. Ein Sturm der Entrüstung gegen den Ausländer brach aus, doch van Swieten ließ sich nicht beirren. 1752 reformierte er auch die übrigen Fakultäten und versuchte in Übereinstimmung mit Maria Theresia den Einfluss des Jesuitenordens im universitären Bereich zurückzudrängen. So entstand 1755 an Stelle des alten, im Kern noch aus der Gotik stammenden Gebäudes der Jesuiten jenes barocke Bauwerk, das heute als "Alte Universität" bekannt und Sitz der Akademie der Wissenschaften ist.
Praxisnahe Lehre
Für die medizinische Fakultät bedeuteten diese Reformen den Übergang zum praxisnahen Unterricht im Fach Chirurgie. Im Bürgerspital (zwischen Kärntnerstraße und Lobkowitzplatz) fand der Unterricht erstmals am Krankenbett statt. Im Spital zu St. Marx an der Landstraße richtete van Swieten eine Schule für Hebammen ein. Ferner entstanden Lehrkanzeln für Chemie und Botanik. Auch den k.k. Botanischem Garten am Rennweg ließ Maria Theresia 1754 auf Anraten van Swietens anlegen. All dies und noch mehr entstand in nur fünf Jahren, zwischen 1749 und 1754.