
Zwei Bilder mit floralen Motiven im Österreichischen Gartenbaumuseum sind schon auf den ersten Blick als Artefakte der Sepulkralkultur zu erkennen. In beiden Fällen neigt sich eine Trauerweide über ein auf einem antikisierenden Sockel aufgerichtetes Kreuz. Die um die Kreuze geschlungenen Kränze sind Symbole der Ewigkeit, sie haben keinen Anfang und kein Ende. An den Sockel angelehnt ist jeweils ein Anker; er ist im christlichen Sinne Symbol der Hoffnung auf die himmlische Seligkeit. Die beiden Herzen schließlich, welche jeweils die Sterbedaten beinhalten, bezeugen die Liebe zu den Verstorbenen.
Das Material, aus dem die auf den Bildern aufgeklebten floralen Gebilde bestehen, ist nicht ganz einfach zu identifizieren. Bei näherem Hinsehen ist zunächst nur zu erkennen, dass es sich um eine recht aufwendige, ja geradezu kunstvolle Verarbeitung handelt.
Reliquienhafte Memorial-ArtefakteNicht wenige der heutigen Betrachter erschrecken oder sind betreten, wenn sie dann von Museumsmitarbeitern erfahren, dass die aufkaschierten Trauerweiden sowie die sonstigen an den beiden Bildern befestigten Pflanzenmotive aus dem Haar von Toten gefertigt wurden. Indes war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Mode solcher Haarbilder ihren Höhepunkt erreichte, kaum jemand unangenehm davon berührt. Ganz im Gegenteil! Anno dazumal schätzte man sich glücklich, wenn man zumindest noch irgendein authentisches Andenken von den geliebten Verwandten bewahren konnte. Familienfotos waren zu jener Zeit ja noch nicht vorrätig, und ein Gemälde war nur selten vorhanden.
Aber nicht nur von den Haaren Dahingeschiedener, sondern auch vom Haupthaar noch lebender Angehöriger fertigte man Haarbilder an. Solcherart konnte man sich in reliquienhafter Weise zum Beispiel an Kinder erinnern, die weit weggegangen waren.
"Ein Stück von sich selbst" geschenkt
Im Falle des hier abgebildeten Memorial-Artefakts aus dem Tiroler Volkskunstmuseum in Innsbruck mit der Aufschrift "Zum Andenken" hatte der Übergeber bei seiner Abreise gewissermaßen "ein Stück von sich selbst" zurückgelassen. Auch sonst wurden kunstvolle Haararbeiten zum Zeichen der Freundschaft und Verbundenheit respektive als Liebesgaben verschenkt. Anlässe dafür waren etwa Verlobungen, Hochzeiten und Klostereintritte.
Auch Armbänder, Fingerringe, Broschen und Halsketten wurden in den feinsten Mustern aus Menschenhaar hergestellt. In England trugen die Herren ihre Taschenuhren an Ketten, die aus dem Haar ihrer Ehefrauen oder Verlobten gefertigt waren.
Als Haarkünstler betätigten sich Perückenmacher, Barbiere, Nonnen, Näherinnen oder künstlerisch begabte Frauen, die sich etwas dazuverdienen wollten. Haararbeiten sind gewoben, geflochten oder geklöppelt. Zumeist wurden die Arbeiten mithilfe bleierner Klöppel und eines Rahmens hergestellt.
Print-Artikel erschienen am 5. April 2012
in der Kolumne "Museumsstücke"
In: "Wiener Zeitung", Beilage "ProgrammPunkte", S. 7