Johann Georg Pinsel (gest. 1761/62) war der bedeutendste und einflussreichste Bildhauer des 18. Jahrhunderts in der Gegend um Lemberg (heute L’wiw). Die Region gehört zur Ukraine und war zu Lebzeiten Pinsels Teil der Adelsrepublik Polen-Litauen.

Bemerkenswerterweise ist über das Leben und Wirken des genialen Künstlers vor seinem Erscheinen in dieser Gegend so gut wie nichts bekannt. Womöglich ist er in Wien aufgewachsen – das ist aber eine reine Mutmaßung, die in den Quellen nur schwach gestützt ist. Die Frage, wer seine Lehrmeister waren, kann trotz intensiver Forschung nicht einmal ansatzweise beantwortet werden. Fest steht, dass er eine eigene, sehr originelle Formensprache generiert hat. Auffallend sind vor allem die extravaganten Faltenwürfe der Skulpturen und die Ausdrucksstärke punkto Physiognomien und Körperpartien.

Einen Gutteil seiner Werke schuf Pinsel für Kirchen. Nach dem Zweiten Weltkrieg fielen nicht wenige der eindrucksvollen Kunstwerke infolge der kulturverachtenden Maßnahmen des kommunistischen Regimes der Zerstörung anheim. Kirchen wurden damals als Lagerhäuser zweckentfremdet respektive mutwillig der Verwahrlosung preisgegeben. Skulpturen und sonstiges Interieur wurden verwüstet oder sogar als Brennholz verwendet.

Die hier abgebildeten Figuren, darstellend die "Opferung Isaaks" durch Abraham, stammen aus der römisch-katholischen Pfarrkirche in Hodowycja (poln. Hodowica), die heute als Ruine ein trauriges Dasein fristet. Pinsel hatte, in Abstimmung mit dem Architekten der Kirche, Bernard Meretyn, die Figurenausstattung des Hochaltars übernommen. Pinsel und Meretyn gestalteten den Altarraum in der Form eines sakralen Theaters (Theatrum sacrum). Die Skulpturen Pinsels waren bis hinauf zum Kreuz in eindrucksvoller Weise pyramidal angeordnet. Meretyn hatte durch eine versteckte Nische den Zutritt von indirektem Tageslicht und damit eine überaus subtile Beleuchtung des Hochaltars ermöglicht.

Die Szene der "Opferung Isaaks" entfaltete, wie auf einer Fotografie aus den 1930er Jahren ersichtlich ist, auf einem hohen Podest raumgreifend ihre Wirkung. Ein Wermutstropfen in der Ausstellung ist die viel zu niedrige Positionierung der Figuren – die hohen Räume des Winterplais’ hätten durchaus eine adäquatere Aufstellung mit authentischer Perspektive ermöglicht.

Wie anhand des linken Bildes nachzuvollziehen ist, kommt bei der knapp über Bodenniveau getätigten Fotoaufnahme der für Pinsel so typische Faltenwurf völlig anders zur Geltung. Das rechte Bild macht deutlich, dass aufrecht stehenden Betrachtern die ausdrucksstarken Physiognomien größtenteils (im Falle Abrahams) respektive völlig (im Falle Isaaks) verborgen bleiben. Trotz dieses Schönheitsfehlers ist die Schau in ihrer Gesamtheit grandios!

Print-Artikel erschienen am 29. Dezember 2016
in der Kolumne "Museumsstücke"
In: "Wiener Zeitung", Beilage "ProgrammPunkte", S. 7