Wien. "Es konstituiert sich eine Diktatur des Relativismus, die nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Maß nur das Ich und seine Bedürfnisse zulässt." Gegen diesen Relativismus und gegen viele ideologische Strömungen, die "das kleine Boot des Denkens vieler Christen" verunsicherten - ob Marxismus, Liberalismus, radikaler Individualismus, Atheismus, Synkretismus -, predigte Kardinal Joseph Ratzinger 2005 vor dem Einzug der Kardinäle ins Konklave.
Einen Tag später, am 19. April 2005 wählten sie ihn mit Zwei-Drittel-Mehrheit zum Papst. Dass er den Namen Benedikt XVI. annahm, deutete darauf hin, dass er sich von seinen unmittelbaren Vorgängern abgrenzen wollte.
Der ehemals reformorientierte Konzilstheologe Joseph Ratzinger, der unter dem Eindruck der Studentenunruhen von 1968, die ihn aus Tübingen ins ruhigere Regensburg vertrieben, einen streng konservativen Kurs einschlug, stieg 1977 zum Erzbischof von München und Kardinal und 1982 zum Chef der Glaubenskongregation in Rom auf. Nach zwei Jahrzehnten im Vatikan musste er wissen, worauf er sich einließ, als er nach dem auch im Sterben in allen Medien ständig präsenten Vorgänger Johannes Paul II. als "Stellvertreter Christi" die Leitung der römisch-katholischen Kirche übernahm.
"Verschmutzte" Kirche
Er kannte das "verschmutzte Gewand und Gesicht" der Kirche, da er es in der Karfreitagsliturgie 2005 in Rom selbst mit eigenen Worten ansprach. Was er aber wohl unterschätzte, war, wie stark die Kirche wegen der Verfehlungen in ihren Reihen ins allgemeine Kreuzfeuer der Kritik geraten würde, wie sehr auch jene an den Pranger gestellt werden würden, die in Kenntnis von Sünden und Verbrechen innerhalb der Kirche zu wenig dagegen unternahmen, ja sie womöglich sogar zu vertuschen versuchten.
Dass jene, die schon lange die rigorose Sexualmoral der Kirche kritisierten, ihr jetzt besonders genüsslich den Vorwurf der Doppelmoral unter die Nase rieben, versteht sich von selbst. Und in einer so klar hierarchisch aufgebauten Institution wird natürlich auch der Mann an der Spitze zur Zielscheibe von Angriffen.
"Der Fehlbare" statt "Der Unfehlbare" und "Die gescheiterte Mission des Joseph Ratzinger" titelte jüngst das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" und lieferte Umfragezahlen aus Deutschland: 73 Prozent der Befragten fanden, der Papst gehe nicht angemessen mit den Missbrauchsfällen in seiner Kirche um, 74 Prozent hielten den Zölibat für mitverantwortlich für diese Fälle, 95 Prozent meinten, die Kirche müsse sich modernisieren. Einen Rücktritt des Papstes verlangten aber nur 10 Prozent, ein Zeichen dafür, dass die klare Mehrheit noch keinen irreparablen Schaden für Benedikt XVI. selbst und sein Amt ortet.
Sein nunmehr fünfjähriges Pontifikat nur an den Missbrauchsfällen zu messen - die natürlich Gewicht haben, auch wenn die kirchlichen Fälle, was auch immer wieder klarzustellen ist, in der Gesamtstatistik einen sehr geringen Anteil darstellen -, ist auf jeden Fall ungerecht. Wie weit ist die Mission von Benedikt XVI. wirklich gescheitert?
Gewählt wurde er offenbar, um sich dem zeitgeistigen Gegenwind entgegenzustellen. Dass er das versucht hat, werden ihm wenige absprechen. Aber ob das wichtigste Zielsetzung für ein Pontifikat unserer Tage war und ist, darüber gehen die Meinungen ganz bestimmt auseinander.
Versuche zum Dialog
Während schon Johannes XXIII. vor rund 50 Jahren versucht hat, die Kirche mit der modernen Welt in einen echten Dialog zu bringen, baute Benedikt XVI. - beziehungsweise sein Team, dem er nicht gerade mit Leadership vorangeht - wie schon sein - mit mehr Charisma für die Mediengesellschaft ausgestatteter - Vorgänger eher Hindernisse für einen solchen Dialog auf. Da mochte der brillante Theologe und Intellektuelle Ratzinger mit Köpfen wie Jürgen Habermas über Gott und die Welt disputieren, da mochte er tiefsinnige Enzykliken und ein sehr persönliches Buch über Jesus von Nazareth schreiben, etliche Dokumente und Maßnahmen aus dem Vatikan erzeugten nur Verstimmung und Kopfschütteln.
Während Rom den Kirchen der Reformation das Recht absprach, sich Kirchen zu nennen, und jeden Dialog mit katholischen Reformgruppen verweigerte, ging Benedikt XVI. auf die Anhänger der vorkonziliaren Messe und die am rechtesten Rand der Kirche stehende Piusbruderschaft, samt dem Holocaust-Leugner Richard Williamson, zu. Das war, neben einem Konflikt über einen Text der Karfreitagsliturgie, den Beziehungen zum Judentum nicht gerade förderlich. Auch eine positiv bewertete Reise in die Türkei konnte nicht ganz die Wogen in der islamischen Welt glätten, die der Papst zuvor in Regensburg entfacht hatte. Er hatte die Wirkung eines Mohammed-kritischen Zitats eines oströmischen Kaisers sichtlich unterschätzt.
Sein konservativer Kurs tritt auch in den Bischofsernennungen zu Tage. Jüngstes Beispiel: Der einzige US-Bischof aus dem Opus Dei, Jose Horacio Gomez, soll die größte US-Diözese, Los Angeles, von Kardinal Roger Mahony übernehmen. In Belgien wurde der konservativste Bischof des Landes, André Leonard, Nachfolger von Kardinal Godfried Danneels in Brüssel. In Österreich erinnert man sich an die Ernennung des umstrittenen Windischgarstener Pfarrers Gerhard Maria Wagner zum Weihbischof von Linz. Wagner trat schließlich noch vor der Weihe zurück.
Wenig Hoffen auf Reform
Dass die Kirche heute besser dasteht als zu Beginn dieses Pontifikates, werden wenige behaupten, dass die jetzige Krise allein Benedikt XVI. anzulasten ist, ebenso wenige. Aber es werden auch immer weniger, die hoffen, dass noch unter diesem Papst Reformen eingeleitet werden, die - vielleicht - der katholischen Kirche wieder mehr Rückenwind als Gegenwind bescheren.
Päpstlicher Hausprediger im Zwielicht
+++ Benedikts wichtigste Stationen