"Wiener Zeitung": Sie haben mit der Veröffentlichung brisanter Dokumente aus dem Büro des Papstes den "Vatileaks"-Skandal ausgelöst. Es ging um Korruption, Missmanagement, Günstlingswirtschaft. Wie muss man sich die Verhältnisse in der Kurie vorstellen?
Gianluigi Nuzzi: Es gibt verschiedene Machtgruppen und Interessen, die sich teilweise bekämpfen. Man sollte meinen, solche Machtspiele hätten in der Kirche nichts verloren. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es gibt enormen Ehrgeiz, Karrieristen, Verschwörungen, krumme Geschäfte und Korruption. Zuletzt war auch von einer Homosexuellen-Lobby die Rede.
Sind solche Gerüchte ernst zu nehmen?
Durchaus, zumal homosexuelle Beziehungen im kirchlichen Milieu Abhängigkeiten und Erpressungen begünstigen können. In der Kurie wird das Thema übrigens relativ unaufgeregt gesehen.
Inwiefern?
Paolo Gabriele, der ehemalige Kammerdiener Benedikts XVI., erzählte mir von einem Kardinal, der "das Laster" hätte. Ich fragte ihn, was er damit meine. Paolo sagte, der Kardinal habe sexuelles Interesse an Kindern. Paolo sprach über das "Laster", als ob es nichts Besonderes sei. Das macht schon sehr nachdenklich.
Ein anderer Vorwurf ist die Korruption in der Kurie.
Ja, sie sind sehr konkret. Da geht es um Firmen, die Aufträge aus dem Vatikan bekommen und zu diesem Zweck Kirchenfunktionäre bestechen, Mitarbeiter der Behörden, die Entscheidungen fällen oder steuern können. Den Vorwurf hatte Bischof Carlo Maria Viganò, Generalsekretär des Governatorats, also der Staatsverwaltung des Vatikans, erhoben. Viganò nannte auch Vor- und Nachnamen. Ich habe mich diesen Dingen in meinen Büchern nicht im Detail gewidmet, weil das zu weit geführt hätte. Aber das ist sehr konkret.
Viganò wurde anschließend als Nuntius nach Washington wegbefördert, er ist eine der Schlüsselfiguren des "Vatileaks"-Skandals. Wie operieren die Lobbys im Vatikan, die seine Versetzung erwirkten?
Diese sogenannten Seilschaften sind Macht- und Interessengruppen in der Kurie. Einer der stärksten Pole war Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Für ihn ist Macht ein Selbstzweck, sie ist sein einziges Ziel. Bertone hat viele Kuriale um sich geschart, die seinen Einfluss festigten.