Wien. Der Wiener Religionswissenschafter Adolf Holl wünschte sich jüngst in einem Radio-Interview einen Franziskaner als Papst - die hätten etwas übrig für die Befreiungstheologie und könnten außerdem mit Geld umgehen. Wahrscheinlich dachte Holl dabei nicht gerade an den Bostoner Erzbischof Sean Patrick Kardinal O’Malley, der dem franziskanisch orientierten Orden der Kapuziner angehört. Aber der hat zumindest bewiesen, dass er Geld auch mit unkonventionellen Mitteln aufbringen kann: Um die Missbrauchsopfer seiner Diözese mit einer Summe von umgerechnet mehr als 75 Millionen Euro zu entschädigen, verkaufte O’Malley unter anderem das erzbischöfliche Palais in Boston.

Bei den englischen Buchmachern rangiert O’Malley ex aequo mit seinem Landsmann Timothy Dolan, dem Erzbischof von New York, und anderen Kandidaten immerhin an sechster Stelle unter den Papabili. Die Reihenfolge der ersten fünf lautet: Peter Turkson (Ghana), Angelo Scola (Italien), Odilo Scherer (Brasilien), Marc Ouellet (Kanada) und Christoph Schönborn (Österreich). Wenn sich das Konklave hinzieht, weil keiner der Favoriten die Zwei-Drittel-Mehrheit von 77 Stimmen schafft, steigen die Chancen der Amerikaner. Sie haben in Rom mit täglichen Pressekonferenzen, die sie dann auf Druck der Kurie einstellten, und ihrem Wunsch nach einem späten Konklavebeginn, weil vorher einiges aufzuarbeiten sei, für Aufsehen gesorgt.

Patrick O’Malley, 1944 in Lakewood in Ohio geboren, nahm 1965 mit der Profess bei den Kapuzinern den Ordensnamen Sean an. Er studierte am Kapuzinerseminar in Washington Philosophie und Theologie und empfing am 29. August 1970 die Priesterweihe. Nach einem Masterabschluss in Religionspädagogik erwarb er ein Doktorat in spanischer und portugiesischer Literaturwissenschaft. Von 1969 bis 1973 war er Professor an der Katholischen Universität von Amerika in Washington, D.C., gründete dort das Centro Católico Hispano, das sich für die Bildung, medizinische Versorgung und juristische Unterstützung von Immigranten einsetzt, und war von 1973 bis 1978 dessen Direktor. 1984 wurde O’Malley zum Bischof geweiht und hatte dann in Folge drei verschiedene Bischofssitze inne, ehe er 2003 als Troubleshooter die Nachfolge von Kardinal Bernard Francis Law - dieser musste wegen der Vertuschung von Missbrauchsfällen zurücktreten - als Erzbischof von Boston antrat. Zu seiner Inthronisierung schritt er - ganz ein Bild der für ihn typischen Bescheidenheit, Demut und Einfachheit - in schlichten Sandalen und im braunen Habit der Kapuziner. Benedikt XVI. ernannte ihn 2006 zum Kardinal.

Null Toleranz für Täter

O’Malley hat sich in den Augen vieler als engagierter Aufräumer nach den Missbrauchsfällen unter seinem Vorgänger sehr verdient gemacht und eine Null-Toleranz-Politik gegenüber den Tätern vertreten. Er hat 2011 sogar, was auch negative Reaktionen auslöste, eine Liste aller Bostoner Diözesanpriester und Diakone veröffentlicht, die in den letzten 60 Jahren wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger angezeigt wurden. Deshalb verwundert, dass auch er wie die meisten Papabili (ausgenommen Christoph Schönborn) auf der "schwarzen Liste" von Kardinälen steht, denen amerikanische Missbrauchsopfer Mitwisserschaft oder zumindest mangelnde Sensibilität bei diesem Problem vorwerfen.

Ebenso vehement wie gegen sexuellen Missbrauch ist O’Malley auch immer für den Schutz des ungeborenen Lebens und gegen die Abtreibung eingetreten. Damit liegt er auf einer Linie mit seinen US-Kardinalskollegen Timothy Dolan und Donald Wuerl, Erzbischof von Washington, die auch als Papstanwärter gelten. US-Präsident Barack Obama sagte am Mittwoch: "Ich glaube, ein amerikanischer Papst wäre genauso effizient wie ein Pole, Italiener oder Guatemalteke."

Ein Aufräumer wie O’Malley täte dem Vatikan zwar gut, kommt aber vermutlich gerade deshalb wegen des Widerstandes der Kurien-nahen Papstwähler nicht auf die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. Aber als Kardinal-Staatssekretär neben einem etwas sanfteren Papst wäre der geradlinige Kapuziner vermutlich am richtigen Platz - noch dazu, weil er mit Geld umgehen kann.