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Luxus-Postkasterl

Von Bernd Vasari

Raumvisionen
In den leerstehenden Räumen der alten Postzentrale finden bis zum Umbau in einem Jahr regelmäßig Veranstaltungen statt.
© Philipp Hutter

Die Zwischennutzungen in der ehemaligen Postzentrale dienen der Wiener Bohème derzeit als Experimentierlabor. Sie soll den Boden für die bis 2019 geplanten hochpreisigen Eigentumswohnungen und exquisiten Hotelzimmer aufbereiten.


Wien. Eine dunkle Verfärbung an der Wand verweist auf den Schreibtisch, der hier einmal gestanden sein muss. Flecken auf den Böden, abgenutzte Griffe und Schattierungen an den Mauern sind auch in den anderen Zimmern die einzigen Hinweise, wie es in dem Gebäude ausgesehen haben könnte. Geblieben sind nur die grau gewordenen unzähligen Steckdosen, ein Porträt von Kaiser Franz Joseph an der holzvertäfelten Wand eines ehemaligen Prunksaals und die weißen schweren Heizkörper. Sie hängen noch zu Dutzenden an ihren Plätzen entlang der endlosen, gespenstisch leeren Gänge.

145 Jahre lang dienten die Gänge und Räume zwischen der Dominikanerbastei und der Postgasse im 1. Bezirk als Unternehmenszentrale der Post. In dem weitläufigen Gebäude wurde die Beförderung von Geldsendungen, Briefen und Paketen organisiert. Bis vor fünf Jahren, als der letzte Postbeamte hier seinen Arbeitsplatz verlassen hat. In einem Jahr wird die ehemalige Postzentrale von den neuen Eigentümern, Wertinvest - Inhaber ist Investor und Heumarktentwickler Michael Tojner - und dem Bauunternehmen Soravia, umgebaut. Aus den Beamtenbüros sollen dann exquisite Hotelzimmer und hochpreisige Wohnungen werden.

Bis es so weit ist, wird das Gebäude immer wieder für Zwischennutzungen zur Verfügung gestellt. Wer sich temporär einmieten darf, überlässt man dabei aber nicht dem Zufall. Sehr eng gesteckt ist der Rahmen der möglichen Veranstaltungen. Die neuen Besitzer legen schließlich Wert darauf, den alten verstaubten Amtsstuben ein neues Image zu verpassen.

Die Jahresausstellung der Universität für angewandte Kunst, die Kunstmesse Parallel im vergangenen Monat, das Partyzentrum des Filmfestivals Viennale ab 20. Oktober und die Markterei ab November, wo an Freitagen und Samstagen ein Nachbarschaftsmarkt mit regionalen Produkten veranstaltet wird. Sie sind die Vorboten der künftigen Klientel, die in dem alten Postgebäude angesprochen werden soll. Dort, wo mehr als ein Jahrhundert lang der Amtsschimmel wieherte, ist es jetzt die Wiener Bohème, die hier Stück für Stück Einzug hält.

Schwitzende und nackte Körper

Angelockt und bei Laune gehalten werden sie mit Performances, Ausstellungen und Partys. Darunter ein schwitzender menschlicher Aufzug der Gruppe Gelitin, bei dem Besucher durch die Stockwerke gehoben und gezogen wurden. Auch Kurzfilme, wie etwa "Egomorphosis" von Elina Dzelme, in dem nackte Frauenkörper vom Kindes- bis ins Greisenalter mutieren, gehören zum Programm.

Weiters werden stets Jungdesigner eingeladen, um ihre Werke zu präsentieren. So zeigte zuletzt Pia Bauernberger ihre auf Personen zugeschnittenen Arbeitsmäntel, mit denen sie die Arbeitsbekleidung neu definieren möchte.

Ein Pop-up-Café darf bei dieser Neuausrichtung der altehrwürdigen Räume ebenso wenig fehlen. An prominenter Stelle, gleich neben dem Haupteingang an der Adresse Dominikanerbastei 11, wurde das temporäre Lokal Ende Juni eröffnet.

Tische für 4700 Euro

Die Betreiber sind der Möbelhersteller Thonet und das Café Jonas Reindl. Sie wurden von den neuen Besitzern der ehemaligen Postzentrale angeworben, wie der Eigentümer des Jonas Reindl, Philip Feyer, der "Wiener Zeitung" erzählt. Auch hier richtet sich das Angebot an eine kaufkräftigere Klientel mit hohen Ansprüchen. Neben Kuchen gibt es handgepflegten, Bio-zertifizierten Kaffee von einer Farm in Nicaragua. Exquisit ist auch das Mobiliar des Pop-up-Cafés, das mit Preisschildern behängt wurde und von Thonet selbst stammt. Holzsesseln gibt es um knapp 1200 Euro und Tische für mehr als 4700 Euro.

Bis zum Anfang des nächsten Sommers darf das Café bleiben. Dann wird die alte Postzentrale umgebaut, zwei Jahre später soll sie fertig sein. Vorgesehen sind etwa 100 hochwertige Eigentumswohnungen, ein öffentlicher Durchgang, eine Erdgeschoßzone mit Gastronomie, Galerien und Geschäften sowie ein Club-Hotel im 4-Sterne-Bereich mit 170 Zimmern. Als Vorbild für das Hotel nennt Daniela Enzi, Geschäftsführerin von Wertinvest, das Soho House in Berlin. Es sei ein Ort für Künstler aus aller Welt, Sinnsuchende und Partymacher beschreibt das deutsche Wochenmagazin "Zeit" das Soho House. "Wer hier die Nächte verbringt, erlebt eine liebeshungrige Stadt und ihre narzisstischen Störungen."

Wer der künftige Hotelbetreiber in der ehemaligen Wiener Postzentrale sein wird, wollte Enzi nicht sagen. Er wird sich jedenfalls mit einem unmittelbaren Konkurrenten auseinandersetzen müssen. Bereits im Frühjahr 2017 eröffnet das Hotel Ruby Lissi im angrenzenden alten Postgebäude am Fleischmarkt. Mit kleinen Zimmern, Snackbars, Yogamatten und Marshall-Verstärker samt E-Gitarren wollen die Betreiber ein ähnliches Publikum ansprechen.

Ob die beiden Hotels an dem Standort genügend Gäste anlocken werden, bleibt abzuwarten. Fest steht: An die Beförderung von Geldsendungen, Briefen und Pakten wird dann niemand mehr denken.