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Auf der Suche nach sich selbst

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Vor dem Jubiläumsgipfel zur Erinnerung an die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stellen gleich mehrere EU-Institutionen Überlegungen zur Zukunft der Union an.


Brüssel. An Ideen mangelt es nicht. Allerdings würde es auch politischen Willen und Mut erfordern, um die Europäische Union für die nächsten Jahre, Jahrzehnte krisensicherer zu machen. Wie soll die Gemeinschaft gefestigt, wie kann sie zusammengehalten werden? Wie soll der Rückfall in die Kleinstaaterei verhindert, wie eine Position der gemeinsamen Stärke in der Außen-, Handels- oder Verteidigungspolitik erreicht werden? Mit diesen Fragen beschäftigen sich gleich mehrere EU-Institutionen, und sie nehmen ein rundes Jubiläum zum Anlass, ihre Konzepte darzulegen.

Denn mitten in der Multi- oder Poly-Krise, die sich zusammensetzt aus den Turbulenzen rund um den bevorstehenden Brexit, um Konflikte und Kriege in der Nachbarschaft, um Flüchtlings- und Migrationsbewegungen oder die neue US-Regierung, hat die EU auch Grund zum Feiern. Am 25. März 1957 unterzeichneten die Vertreter von Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden die Römischen Verträge und begründeten damit - unter anderem - die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Genau 60 Jahre später werden die Staats- und Regierungschefs der EU in der italienischen Hauptstadt zu einem feierlichen Gipfeltreffen zusammenkommen.

Bis dahin will die EU-Kommission ein sogenanntes Weißbuch präsentieren, in dem sie die Überlegungen zur Zukunft Europas bündelt. An einer "Römer Erklärung" arbeiten die Mitgliedstaaten, unter der Ägide von EU-Ratspräsident Donald Tusk, der immer die Gipfel leitet. Und im EU-Parlament haben bereits mehrere Fraktionen in Resolutionen ihre Meinungen über die nötigen Reformen in der Union kundgetan.

In welche Richtung es für die EU gehen könnte, hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zuletzt bei einer Veranstaltung in der belgischen Stadt Louvain-la-Neuve angedeutet: hin zu einer Union der verschiedenen Geschwindigkeiten. Diese Option hat vor wenigen Wochen auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht ausgeschlossen, als sie sich mit ihren Amtskollegen aus der EU in Malta traf. Eben von "verschiedenen Geschwindigkeiten" war da die Rede, von einem Europa, in dem "nicht alle immer an den gleichen Integrationsstufen teilnehmen werden".

Kein festes Machtzentrum

Ähnlich äußerte sich Juncker. Nicht jedes Land werde bei jedem Projekt mitmachen, befand er. Vielmehr sei eine - schon jetzt mögliche - verstärkte Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen vorstellbar, ob bei Verteidigungs- oder Wissenschaftsprogrammen.

Die Unterschiede sind freilich jetzt schon Realität: Einige Mitgliedstaaten gehören nicht der Währungsgemeinschaft an, und einige befinden sich nicht im Schengen-Raum, wo Reisen ohne Passkontrollen möglich sind. Doch statt fester Machtblöcke gibt es eher fließende Allianzen, die sich je nach Thema bilden und wieder zerfallen können.

Das ist etwas anderes als das Konzept eines Kerneuropa, das so manche - westeuropäische - Regierung noch vor Jahren lanciert hatte. Das würde nämlich ein hartes Zentrum aus mehreren Ländern voraussetzen, das die Richtung vorgibt und um das die anderen Staaten kreisen. Die Bildung einer solchen EU sei aber "weder wahrscheinlich noch wünschenswert", schreibt Jannis Emmanouilidis von der in Brüssel ansässigen Denkfabrik EPC (European Policy Centre). In einer aktuellen Analyse führt er an, dass die Mitglieder, aus denen sich der Kern Europas zusammensetzen könnte, selbst unterschiedlich seien - aber jedes einzelne wohl kaum gewillt sei, mehr von seinen nationalen Kompetenzen abzugeben, was jedoch die Bedingung für die Kooperation wäre. Außerdem wäre die Gefahr neuer und tieferer Klüfte in Europa groß.

Allerdings sind auch nicht alle Länder von der Idee eines Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten begeistert. Ungarn zum Beispiel würde lieber eine Stärkung der Nationalstaaten sehen, und auch Polen wäre dafür zu gewinnen. Eine andere Variante davon ist die Methode der zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die etwa in der Finanzkrise zur Schaffung des Europäischen Stabilitätsmechanismus als Euro-Rettungsschirm führten.

Dass sich aber die Ergebnisse solcher Abkommen in weiten Teilen der Kontrolle der anderen EU-Institutionen entziehen, gefällt wiederum dem EU-Parlament nicht. Das hat denn auch eigene Vorstellungen zu den Reformen für die Union, die vor allem deren Arbeitsweise betreffen. Die Gesetzgebung müsse straffer und transparenter, die EU-Kommission verkleinert werden, findet etwa die Europäische Volkspartei. Ein Staatsrat sollte entstehen, ein Gremium, in das sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Volksvertretung eingebunden sind. Manche Vorschläge aus dem Abgeordnetenhaus würden jedoch eine Änderung der EU-Verträge nötig machen - und darauf ist der Appetit in den Mitgliedstaaten gering, wie EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans in der Parlamentsdebatte anmerkte.

Was bleibt, ist also zunächst das Konzept einer EU der verschiedenen Geschwindigkeiten. Juncker bebilderte es so: "Wem es in der Küche zu heiß wird, der sucht die frische Luft." Dass er sich dabei nicht zu sehr vom Haus entfernt, müsste die EU aber sicherstellen.