Luxemburg/Berlin. Frankreich fürchtet den Einfluss von Hollywood und dem Silicon Valley – und daran könnten die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA scheitern, bevor sie begonnen haben. "Ich würde sagen, die Chancen für eine Vereinbarung stehen 50:50", sagte der finnische Europaminister Alexander Stubb am Freitag in Luxemburg.
Dort wollen Vertreter der 27 EU-Staaten beschließen, der EU-Kommission ein Mandat für Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA zu geben. Frankreich beharrt aber darauf, den Bereich Medien und Internet von vornherein auszuklammern. Da der Beschluss zur Aufnahme der Gespräche einstimmig fallen muss, kann Frankreich das Vorhaben mit einem Veto torpedieren.
Die anderen EU-Länder versuchen jetzt, die Bedenken aus Paris zu zerstreuen. "Da gibt es nichts, was die französische oder europäische Filmindustrie bedroht", sagte Stubb. "Ich werde auch weiter meine geliebten französischen Filme anschauen, auch nach den Freihandelsverhandlungen." Die französische Handelsministerin Nicole Bricq machte ihre Kollegen allerdings klar, dass sie den Verhandlungen nur dann zustimmen werde, wenn der Bereich Audiovisuelles klar und deutlich ausgeklammert bleibe. Der Marktanteil der US-Filmindustrie liege bereits bei 60 Prozent, der europäische Anteil in den USA dagegen nur zwischen drei und sechs Prozent. "Wer ist hier offen und wer ist geschlossen?", fragte sie einer Kopie ihrer Rede zufolge, die unter Diplomaten kursierte.
Die französischen Bedenken werden vom Verband der öffentlich-rechtlichen Sender Europas (EBU) geteilt. Gerade im Internet entwickelten sich die Dinge "schnell und unvorhersehbar", sagte Ulrich Wilhelm, EBU-Vorstand und Intendant des Bayerischen Rundfunks, der "Süddeutschen Zeitung". "Wir brauchen deshalb die Freiheit, stets neu entscheiden zu können." Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssten sich die Möglichkeit erhalten, Regelungen in den Medien flexibel an Entwicklungen anpassen zu können. "Mit einer Unterwerfung des kulturellen Sektors unter die Bedingungen des Freihandelsabkommens wäre diese Handlungsfreiheit nicht mehr gegeben", sagte Wilhelm, der bis 2010 Regierungssprecher der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel war.
Was den Franzosen die Filmindustrie, ist den Deutschen der Agrarsektor. Ein Freihandelsabkommen darf nach Worten der deutschen Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner nicht zulasten von deutschen Verbraucherschutz-Standards gehen. So müsse beispielsweise Hormonfleisch aus den USA gekennzeichnet werden, forderte die CSU-Politikerin im Deutschlandfunk. "Das ist das Mindeste." Auch die Kennzeichnungspflicht für gentechnische Lebensmittel müsse beibehalten werden.
Eine Freihandelszone EU/USA hat nach Einschätzung von Ökonomen ein enormes Potenzial. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) rechnet mit Konjunkturimpulsen beiderseits des Atlantiks von bis zu 200 Milliarden Euro. In Deutschland könnten dem Verband zufolge rund 100.000 neue Arbeitsplätze entstehen. "Wir erwarten, dass die EU-Kommission das Verhandlungsmandat für ein ambitioniertes und umfassendes Handels- und Investitionsabkommen mit den USA erteilt bekommt", sagte BDI-Präsident Ulrich Grillo.