"Unsere europäischen Filme haben alle einen Nährboden, regionalen oder nationalen, und das macht auch das europäische Kino aus, dass wir wo hingehören und wissen, wovon wir erzählen." Der deutsche Regisseur Wim Wenders, hier zitiert aus einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur, ist in seiner Funktion als Präsident der Europäischen Filmakademie so etwas wie ein Schirmherr, wenn es um die Verteidigung von spezifischen Kulturwerten geht. Europas Kino ist eines, "das eine Handschrift hat", sagt Wenders.
Diese Handschrift ist in Gefahr, meinen ihre Beschützer. Doch zunächst einmal klang das alles sehr vielversprechend: Wenn die EU und die USA ein Freihandelsabkommen unterzeichneten, ergäben sich daraus zahllose Vorteile für die Bürger: Denn insgesamt würde durch den Wegfall von Zöllen und diversen anderen Handelshindernissen 120 Milliarden Euro mehr Handelsvolumen und 400.000 neue Arbeitsplätze entstehen. Rechnet die EU vor.
EU-Kommissionspräsident Barroso und US-Präsident Obama frohlocken angesichts der bevorstehenden größten Freihandelszone der Welt (die aber erst verhandelt werden muss) mit ihren mehr als 800 Millionen Einwohnern. "Wir müssen neue Aufstiegsmöglichkeiten schaffen in unseren eigenen Gesellschaftssystemen - auch wenn wir ein neues Freihandelsabkommen verfolgen, dass das Wachstum im transatlantischen Verhältnis verstärkt", sagte Obama am Mittwoch vor dem Brandenburger Tor.
Ganz so leicht wird diese Abkommen aber nicht umzusetzen sein: Vor allem in Frankreich regt sich Widerstand. Die Franzosen haben durchgesetzt, dass die Bereiche Film, Musik und Medien vorerst nicht Teil der Verhandlungen sein werden. Der Hintergrund: In Frankreich gilt die so genannte "exception culturelle française", die man 1993 in die GATS-Verhandlungen hineinreklamierte. Damit werden Quotenregelungen für nationale Kunst- und Kulturgüter möglich, die sich auf diese Weise nicht einem Wettbewerb stellen müssen. Subventionen für audiovisuelle Medien sind die Eckpfeiler dieses Schutzmechanismus. Das französische Chanson konnte so auch neben dem US-Pop überleben, das französische Kino ist deshalb mit einem Marktanteil von über 40 Prozent im eigenen Land der Platzhirsch in Europas Kulturkampf gegen böse US-Blockbuster. Zum Vergleich: In Österreich pendelt der Marktanteil heimischer Filme bei zwei bis sechs Prozent. Das hat auch mit der Menge an Filmen zu tun: Die Franzosen produzieren zwischen 150 und 250 Kinofilme pro Jahr, die Österreicher nur ein Zehntel davon.
Konkurrenz in der Kunst
Die Regulierungen bei Kulturgütern zeigen also zumindest in Frankreich Wirkung. Mit einem Freihandelsabkommen auch im Bereich der Kultur würden etliche tabuisierte Regeln fallen (müssen): Die Buchpreisbindung, die die Vielfalt am deutschsprachigen Markt garantiert, wäre in Gefahr, Subventionen in Form von Förderungen stünden auch den US-Kreativen offen, Quotenregelungen für den nationalen Anteil von Werken in Rundfunk und Kino wären Geschichte. Kultur als Handelsware brächte Konkurrenz in die Kunst. Bei Obama klingt das sympathischer: "Frieden mit Gerechtigkeit bedeutet eine freie Wirtschaft, die die Talente und der schöpferischen Kraft des Einzelnen freien Lauf gibt", sagte er in Berlin.
Schöne Worte von einem, der in einer guten Position ist: Schon jetzt beträgt der Anteil von US-Filmen in Europa mehr als 60 Prozent, in Österreich sogar 77 Prozent (Zahlen von 2011). In den USA liegt der Anteil europäischer Filme bei nur drei bis sechs Prozent - was vor allem an der Sprache liegt. Und die kann auch ein Freihandelsabkommen nicht ändern. Es ist daher anzunehmen, dass ein solches Abkommen - wäre darin die Kultur als Handelsware deklariert - vor allem den Hollywood-Studios nützen würden, kaum jedoch dem europäischen audiovisuellen Sektor. Der US-Markt bliebe ihnen vermutlich trotz Öffnung verwehrt, es sei denn, sie produzierten auf Englisch. Der freie Markt könnte also eine Veränderung im Film-, Musik- und Kulturmarkt bringen: Eine Anbiederungswelle, mit der versucht wird, Medien für den US-Markt zu produzieren. Ein Stück europäische Identität müsste man dafür schon aufgeben. Es wäre der Preis für die neue Freiheit. Wenns aber klappt, wird der eine oder andere reich.
Dass Film, Musik und Medien vorerst aus den Verhandlungen ausgenommen werden, ist ein Teilerfolg der nationalen Identitätswächter in der EU. Freihandel, wie ihn Obama versteht, muss sich jedoch vom Nationendenken verabschieden. Dann könnte sein Traum von der "schöpferischen Kraft des Einzelnen" in Erfüllung gehen. Und zwar egal, ob man in Paris, France oder in Paris, Texas sitzt.