Brüssel/Washington. Es ist ein monumentaler Wirtschaftsdeal und gleichzeitig ein riesiges Geheimnis: Die beiden größten Volkswirtschaften der Welt, die EU und die USA, planen ein Freihandelsabkommen. Die Freihandelszone wäre mit 800 Millionen Einwohnern so groß wie keine andere auf der Welt. Die Verhandlungen sind am Montag in die zweite Runde gegangen. Doch was im Detail eigentlich verhandelt wird, bleibt unveröffentlicht. Die Spekulationen darüber sowie die allgemeinen Vorgaben lassen die einen von hunderten Milliarden Euro an Wirtschaftswachstum schwärmen, die das Abkommen in Zukunft bringen soll. Andere hingegen warnen: Die Freihandelszone diene nur den Interessen von Großkonzernen und bringe unterm Strich so gut wie nichts an zusätzlicher Wirtschaftsleistung.

"Ein gewisses Maß an Diskretion ist notwendig, um die Interessen der EU zu schützen und die Chancen auf ein befriedigendes Ergebnis zu wahren", argumentiert die EU-Kommission die Tatsache, dass die Verhandlungen und Texte über diese nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind. Nur einige allgemein gehaltene Positionspapiere geben die generelle Marschrichtung an. Sie lassen erahnen, was der große Deal beinhalten wird.

In einem sind sich alle Experten einig: In dem Freihandelsabkommen wird es kaum um Freihandel gehen - zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Zollbarrieren existieren nämlich zwischen der EU und den USA fast nicht mehr. Lediglich vier bis sieben Prozent des Handelsvolumens unterliegen noch den Zollbestimmungen.

EU und USA setzen globale Standards

Das große Schlagwort lautet "Regulierungsstandards". Die sind der Kern der Transatlantischen Handels- und Investment-Partnerschaft (TTIP, vom Englischen Transatlantic Trade and Investment Partnership). Dazu gehören unter anderen Industriestandards, Lebensmittelgesetze, aber auch öffentliche Ausschreibungen. Die sollen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden.

Ein simples Beispiel sind Autos, für die es auf beiden Seiten des Atlantiks unterschiedliche Bestimmungen gibt. Blinker in den USA etwa - die auch schon einmal rot sein können - weichen von den europäischen Vorschriften ab. Daher müssen Autokonstrukteure ein und dasselbe Auto zwei Mal konzipieren, obwohl man davon ausgehen kann, dass beide verkehrssicher sind. Und hier liegt für Befürworter des TTIP die große Stärke.

"Wenn du Hindernisse abbaust und Unternehmen es mit nur einer Vorschrift anstatt mit zweien zu tun haben, dann eröffnet das neue Möglichkeiten", sagt Dan Ikenson von der US-Denkfabrik Cato Institute. Das Unterfangen hat eine ungeheure Tragweite, die weit über die EU und die USA hinausgehen dürfte. Jede Einigung auf eine gemeinsame Regelung würde weltweit wegweisend sein. "Auf was auch immer sich die USA und die EU einigen, es wird aufgrund der Größe der beiden Volkswirtschaften in vielen Fällen de facto der globale Standard werden", ist Joshua Meltzer von der Brookings Institution in Washington überzeugt.

Welche Fälle das letztlich im Detail sein werden, ist aufgrund der Geheimhaltung nicht bekannt. Die Fülle ist unüberschaubar, betroffen sein kann alles, das einer Regulierung unterliegt: von der Krümmung einer Gurke, über Derivatenhandel bis hin zu Sicherheitsbestimmungen für Chemikalien. "Niemand kann das alles im Auge behalten", sagt Jacques Pelkmans vom Centre for European Policy Studies (Ceps) in Brüssel. Daher gibt es Arbeitsgruppen. Im Vorfeld der Verhandlungen trafen sich die europäischen Delegierten daher mit einer Reihe von Interessensgruppen.

Wichtig, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, ist für Pelkmans das sogenannte "préjugé favorable", das vorteilhafte Vorurteil. "Man geht davon aus, dass etwas in Ordnung ist, und nicht, dass es nicht in Ordnung ist, weil es aus den USA kommt." Das heißt, etwas, das in den USA als sicher gilt, sollte auch in Europa als sicher gelten. Doch genau das bezweifeln Kritiker.

Großer Stolperstein Landwirtschaft

Grundsätzlich werden den USA und der EU zwei unterschiedliche Herangehensweisen zugeschrieben. In den USA gehe man davon aus, dass etwas sicher ist, solange nicht das Gegenteil bewiesen sei. In der EU hingegen gilt das Vorsichtsprinzip, wonach zuerst bewiesen werden muss, dass etwas sicher ist, bevor es zugelassen wird. Beispielhaft für diesen Konflikt ist einer der umstrittensten Punkte aus europäischer Sicht: GVO, gentechnisch veränderte Organismen (siehe nebenstehenden Artikel).

"Das Thema wird von manchen in Europa mit geradezu religiösem Eifer behandelt", sagt Pelkmans. Das würde die ganzen Verhandlungen gefährden und sogar die EU-Mitgliedstaaten spalten. Es wäre also weise, diesen Punkt aus den Verhandlungen herauszunehmen, um den Rest der Gespräche nicht zu gefährden. Davon ist nicht nur Pelkmans überzeugt, sondern so gut wie jeder Experte, mit dem man über dieses Thema spricht. Wahrscheinlich wird das Thema auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Auch Vorbehalte in den USA gegenüber EU