Doch auch ohne GVO bereitet die Landwirtschaft den Verhandlern genügend Kopfzerbrechen. Etwa wenn es um die sogenannten "Chlorhühner" geht. In den USA ist die Praktik verbreitet, Hühnerbrüste mit Chlor zu desinfizieren, um so die Salmonellengefahr einzudämmen. Dass so ein Huhn künftig problemlos in der EU verkauft werden könnte, ist vielen Europäern ein Graus. Das wiederum ist den Amerikanern unverständlich, da es in vielen europäischen Ländern, darunter Frankreich, Usus ist, abgepackten Salat mit Chlorwasser zu reinigen. Auch sei in vielen Städten das Trinkwasser chloriert, was den Ekel vor den Chlorhühnern absurd mache, erklärte ein ranghoher US-Beamter.
Auch auf amerikanischer Seite gibt es Vorbehalte gegenüber Europa. Etwa wenn es um den Jones Act für den Seehandel geht. Das Gesetz sieht vor, dass der Schiffsverkehr zwischen amerikanischen Häfen grundsätzlich nur von Schiffen besorgt wird, die in den USA hergestellt wurden, US-Staatsangehörigen gehören und von US-Bürgern betrieben werden. Die USA werden jedenfalls versuchen, das Regelwerk beizubehalten, erfuhr die "Wiener Zeitung" aus US-Verhandlerkreisen.
Weitere Befürchtung: Dass sich Europa Zugang zu den Erdgas-Reserven der USA verschaffen will. Per Gesetz kann dieses derzeit nicht ohne eine spezielle Lizenz exportiert werden. Die würde die EU nach Abschluss des TTIP nicht mehr benötigen. US-Produzenten - zumal in der Petrochemie - fürchten nun um ihre indirekte Förderung, während man im britischen Energieministerium damit rechnet, dass dadurch die britischen Gaspreise bis 2020 um zwölf Prozent sinken werden.
Umgekehrt fürchtet man Europa, dass sich amerikanische Firmen in Europa, zumal Osteuropa, die Rechte für Erdgasressourcen sichern und dort das umstrittene Fracking betreiben.
Sorgen macht man sich auch in einzelnen US-Bundesstaaten. Denn im Gegensatz zu Freihandelsabkommen mit etwa den karibischen Staaten, oder mit Peru, gibt es für sie keine Möglichkeit, sich dem TTIP zu entziehen.
Angst vor Liberalisierung des Wassers
Manche Kritiker in Europa sehen in dem Abkommen die europäische Lebensweise gefährdet. Die USA hätten lediglich zwei von acht Konventionen für arbeitsrechtliche Mindeststandards der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert, berichtet die globalisierungskritische Organisation Attac. Im Hintergrund könnten somit arbeitsrechtliche Standards in Europa ausgehöhlt werden. Die Europäische Kommission möchte Klagerechte für Investitionssicherheit verhandeln, erklärt Alexandra Strickner von Attac. Diese Klagerechte würden es Investoren ermöglichen, Staaten aufgrund von Sozial-, Gesundheits- oder Umweltschutzgesetzen zu klagen, die ihre geplanten Gewinne bedrohen. Auf Basis so eines Abkommen hat etwa der schwedische Energiekonzern Vattenfall Deutschland wegen des Atomausstiegs erfolgreich geklagt.
Attac glaubt, dass die Kommission auch öffentliche Dienstleistungen in die Verhandlungen aufnimmt. US-Unternehmen könnten eine Deregulierung fordern, wo ihnen der ungehinderte Zugang zu den europäischen Märkten fehlt. So fürchten Kritiker, dass über den Umweg TTIP eine zwangweise Liberalisierung und Privatisierung des Wassers erfolgen könnte. Dabei hatte erst kürzlich die erste erfolgreiche EU-Bürgerinitiative bewirkt, dass die Trinkwasserversorgung von der EU-Konzessionsrichtlinie ausgenommen wird.
Uneinigkeit über Höhe des Nutzens
Eine große Unbekannte und großer Streitpunkt ist letztlich, was dieses Freihandelsabkommen bringen wird. "Dies ist das billigste Ankurbelungsprogramm, das man sich vorstellen kann", lobt EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso das TTIP. Die Kommission rechnet mit einem Nutzen für die EU in Höhe von jährlich 119 Milliarden Euro und für die USA mit 95 Milliarden Euro pro Jahr.
Dabei beruft sie sich auf einen Bericht des Centre for Economic Policy Research in London, das eine Analyse unter Leitung des US-Ökonomen Joseph Francois in Auftrag gegeben hat (siehe untenstehendes Interview). Die generelle Einschätzung von Experten ist, dass das Freihandelsabkommen im allerbesten Fall ein Wachstum in Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr bringe.
Für Kritiker ist diese Zahl überzogen. Dean Baker vom fast gleichnamigen Center for Economic Policy Research in den USA verweist darauf, dass mit diesen Milliardenbeträgen nur im besten aller Fälle zu rechnen sei, es sich um eine Projektion bis zum Jahr 2027 handle und die angegebenen Euro-Beträge auch den für das Jahr 2027 angenommenen Wert haben. Die Berechnungen für die weniger ambitionierte Variante kämen auf einen zu vernachlässigbaren Schub in Höhe von jährlich 0,015 Prozent des BNP.
Anfang kommenden Jahres sollen erste Vorschläge für die politisch Verantwortlichen vorliegen. Dass das TTIP Realität wird, damit rechnet so gut wie jeder. Fraglich bleibt lediglich wann. Während es Brüssel und Washington am liebsten noch 2014 besiegeln würden, glauben nur wenige Analysten, dass dies zeitlich schaffbar ist. Das wird letztlich von der Klärung der zweiten essenziellen Frage abhängen: Was wird das Freihandelsabkommen in der Endfassung beinhalten?