Brüssel/Wien. Anleger und Geldgeber lieben ihn, NGOs und viele Steuerzahler fürchten ihn: den Investorenschutz. Durch sogenannte ISDS-Klauseln (Investor-Staat-Schiedsverfahren-Klauseln) wird ausländischen Investoren ermöglicht, einen Staat an der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbei vor Sondertribunalen zu klagen, wenn sie sich durch eine politische Entscheidung diskriminiert und ihre Investitionen oder ihre Profite geschmälert sehen. Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, TTIP, soll ihn enthalten; im fertig ausgehandelten Vertrag zwischen der EU und Kanada ist er bereits verankert. Doch das könnte sich ändern. Denn die Front gegen die Aufnahme von Investorenschutz in Freihandelsabkommen ist inzwischen breit und konsolidiert.

Waren es anfänglich Nichtregierungsorganisationen, die vor den Gefahren von ISDS warnten, so hat sich der Widerstand inzwischen bis in höchste Politebenen formiert. Vor allem in Deutschland sind die Sozialdemokraten, die mit CDU/CSU eine Regierungskoalition bilden, ausgesprochene Gegner des Investorenschutzes.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hatte kürzlich im Bundestag erklärt, er befürworte Ceta, aber mit dem ausgehandelten Investitionsschutz sei das Abkommen für Deutschland nicht zustimmungsfähig. Auch Justizminister Heiko Maas hat sich gegen den Investitionsschutz in den Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada ausgesprochen: "Solche Klauseln zu Investitionsschutz und Schiedsgerichten sind zwischen entwickelten Rechtsstaaten nicht notwendig", sagte er der "Südwest-Presse".

Auch österreichische Abgeordnete sehen den Investitionsschutz in Freihandelsabkommen zunehmend kritisch. "Die Sinnhaftigkeit der Aufnahme von ISDS-Klauseln bei Abkommen mit Staaten mit entwickelten Rechtssystemen (z.B. USA und Kanada) ist aus heutiger Sicht nicht erkennbar", heißt es in einem von SPÖ, ÖVP und Grünen gestützten Entschließungsantrag im Nationalrat.

Juncker gegen Privatgerichte

Die Skepsis ist inzwischen an der EU-Spitze angelangt: dem gewählten Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. "Ich versehe nicht, warum große Demokratien kein Vertrauen in ihre Rechtssysteme haben", erklärte er. "Wir haben Gerichte, die imstande sind, solche Fälle zu behandeln, deshalb bin ich nicht wirklich für etwas, das man ein ,Privatgericht‘ nennen könnte."

Weniger kritisch ist die designierte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Die Schwedin schloss eine Streichung der Schutzklauseln in TTIP zwar nicht aus, sprach sich aber dagegen aus, die Mechanismen zur außergerichtlichen Streitschlichtung aus Ceta zu eliminieren. Auf der anderen Seite des Atlantiks findet bei eigentlichen ISDS-Befürwortern inzwischen ebenfalls ein Umdenken statt. Die wirtschaftsliberale Denkfabrik "Cato" empfiehlt plötzlich, den Investorenschutz aus TTIP zu streichen, um das Abkommen zu retten.

Sollte der umstrittene Investorenschutz tatsächlich fallen, so wäre dies für die sozialdemokratische EU-Abgeordnete Evelyn Regner "ein riesiger Schritt in die richtige Richtung". "Das wäre ein Sieg des EU-Parlaments und der Zivilgesellschaft." Allerdings gebe es auch dann noch viele Fallstricke, erklärt die geschäftsführende SPÖ-Delegationsleitern. So gelte es unter anderem sicherzustellen, dass nicht über Umwege Firmen und Länder in den Genuss des Abkommens kämen, die dazu eigentlich nicht berechtigt sind (etwa über Zweigniederlassungen).

Auf jeden Fall vermieden werden solle aber in diesem Zusammenhang, Antiamerikanismus zu schüren. Vielmehr gehe es darum, auf beiden Seiten des Atlantiks hohe Sozial- und Umweltstandards zu sichern und nicht Punkte, die lediglich für Unternehmen spannend sind, zu fixieren. Für den grünen EU-Abgeordneten, Michel Reimon, wäre Ceta auch nach Herausnahme der ISDS-Klauseln in dieser Form nicht akzeptabel. "Mit dem Investitionsschutz wäre nur die Hälfte der Probleme beseitigt", sagt der Wettbewerbssprecher der Fraktion. Weiterhin problematisch sind für ihn die regulatorischen Übereinstimmungen. Sowohl Ceta als auch TTIP sind als sogenannte "living agreements", lebendige Vereinbarungen, konzipiert. Das heißt, dass ein gemeinsames transatlantisches Komitee ins Leben gerufen wird, das künftig Regelungen ausarbeitet. "Gesetze müssten dann so beschlossen werden, dass sie den Entscheidungen dieses Gremiums entsprechen", erklärt Reimon. Er sieht darin eine demokratiepolitische Gefahr: "Ich schaffe ein Gremium, dass künftig Regelungen für verschiedene Produktgruppen erlassen kann. Das heißt, wir als Europaparlament haben auf einmal ein übergeordnetes Gremium, das die Rahmenbedingungen vorschreibt, innerhalb derer wir Richtlinien zu erlassen haben." Wer künftig in diesem Gremium sitze, sei auch unklar.

Weiters für Kritik sorgt, dass Ceta auf Basis einer Negativliste ausgearbeitet ist. Regner und Reimon sehen dies als problematisch. Bei den Globalisierungsgegnern von Attac ist man darüber entrüstet. Vereinfacht bedeutet eine Negativliste, dass alles liberalisiert werden kann, was nicht explizit in dem Abkommen ausgenommen wurde. Eine Positivliste hätte umgekehrt bedeutet, dass lediglich liberalisiert wird, was in dem Abkommen dezidiert aufgelistet ist. So würden nun die bereits in der EU durchgeführte Liberalisierungen einzementiert, heißt es bei Attac. Läuft eine Liberalisierung schief, kann sie nicht rückgängig gemacht werden.

Dass hier noch Korrekturen möglich sind, schließt Madeleine Drescher von Attac Österreich aus: "Ceta ist auch ohne Investitionsschutz nicht akzeptabel. Überhaupt sind TTIP und Ceta in dieser Form nicht reformierbar." Ihre Organisation organisiert daher am 11. Oktober Protestmärsche in den Landeshauptstädten gegen TTIP und Ceta.