"Wiener Zeitung":Was halten Sie von dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU?
Julien Laflamme: Die Organisationen, die ich vertrete, sind besonders besorgt über den Investitionsschutz, der es Investoren erlaubt, Staaten zu klagen, wenn sie unter bestimmten Umständen ihre Profite gefährdet sehen. Das sind Mechanismen, die über dem Gesetz und all dem stehen, worüber unsere Gerichte urteilen können. Das ist völlig unverhältnismäßig und könnte demokratische Entscheidungen untergraben. Ich spreche da aus Erfahrung, denn mit dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta ist Kanada ja schon in den Genuss der Folgen dieses Investorenschutzes gekommen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Zurzeit läuft ein Verfahren eines Unternehmens, das Schiefergas im Tal des Sankt-Lorenz-Stroms gewinnen wollte. Die Umweltgutachten haben aber eindeutig gezeigt, dass das furchtbare Folgen gehabt hätte. Daher hat die Regierung die Gasgewinnung dort verboten. Als Folge kam eine Firmenklage in Höhe von 250 Millionen Dollar.
Das Verfahren ist allerdings noch nicht abgeschlossen.
Solche Klagen bauen per se immensen Druck auf die Regierung auf. Firmen brauchen oft gar nicht so weit zu gehen und das Investitionsschiedsgericht anzurufen. Da genügt allein die Drohung. Vor einigen Jahren wollte zum Beispiel die Provinz Neubraunschweig eine neue Art der Autoversicherung einführen. Die sollte staatlich und flächendeckend sein. Allein die Aussicht auf ein durch die Versicherungsfirmen angestrebtes Verfahren hat genügt, dass die lokale Regierung ihre Pläne aufgab.
Ein vertraglich vereinbarter Schutz kommt für Sie also nicht infrage?
In Nafta gibt es Kapitel, die dazu da sind, Arbeiterrechte zu schützen. Wir sind aber draufgekommen, dass bei den Klagen zum Schutz der Arbeiter keine bis zum Schiedsgericht gekommen ist. Es gibt ein absolutes Ungleichgewicht zwischen den Mechanismen, die die Investoren schützen, und jenen, die die Arbeiter schützen. In Ceta sieht das Kapitel Arbeit nicht einmal die Möglichkeit einer Bestrafung für einen Staat vor, der sich nicht an die vereinbarten arbeitsrechtlichen Standards hält.
Gibt es für Sie eine Möglichkeit, die Investorenschutzklausel in Ceta derart anzupassen, dass sie akzeptabel wäre?
Eigentlich nicht, da gibt es zu viele Punkte, die problematisch sind. Und es gibt ja auch genug Länder, die ohne recht gut leben, beziehungsweise die versuchen, solche Abkommen wieder aufzulösen. Die ersatzlose Streichung aus Ceta wäre die beste Strategie.
Die Gegner von Investorenschutzklauseln in Freihandelsabkommen werden immer zahlreicher. Mit der deutschen Regierung ist ein gewichtiger Akteur dagegen. Wäre Ceta so, wie es ist, aber ohne Investorenschutz eine Lösung?
Es gibt natürlich noch weitere Kritikpunkte. In Kanada haben wir eine der stärksten Finanzregulierungen der Welt. Aber die europäischen Banken üben unglaublich starken Druck aus, um diesen Sektor aufzubrechen. Dann wäre da noch die Frage der öffentlichen Auftragsvergabe. Diese war durch Nafta bisher nur auf Bundesebene liberalisiert. Das hat es auf Landes- und Gemeindeebene noch ermöglicht, Sozialprojekte durchzuführen, die etwa darauf abzielten Arbeitsplätze zu schaffen, Umweltziele zu erreichen oder generell in öffentlichem Interesse waren. Wird Ceta so, wie es ist, unterzeichnet, so wird dieser Bereich in einem nie dagewesenen Ausmaß geöffnet. Nehmen wir zum Beispiel Hydro-Québec, die führende staatliche Firma auf dem Gebiet der Wasserkraft. Durch die Verträge, die die Firma an mehrere regionale Unternehmen vergeben hat, konnten in diesem Bereich ein Know-how und eine Kompetenz aufgebaut werden, die man anders nie erreicht hätte. Mit Ceta wären diese Möglichkeiten für immer dahin.
Wie sehr ist Ceta eigentlich im Bewusstsein der kanadischen Bevölkerung präsent?
Wenn man die Leute fragt, ob sie damit einverstanden sind, ein Freihandelsabkommen mit der EU abzuschließen, stehen sie der Sache eher positiv gegenüber. Sie sagen sich, dass die Europäer Menschen sind, zu denen wir ein gutes Verhältnis haben. Aber wenn man etwas tiefer geht und fragt, ob sie dafür sind, dass Investorenschutz à la Nafta inkludiert wird, dann sind laut Umfragen mehr als zwei Drittel der Kanadier dagegen. Wenn man sie fragt, ob sie einverstanden sind, die öffentliche Auftragsvergabe auf Provinz- und Gemeindeebene zu öffnen, sind sie zu 80 Prozent dagegen.
Wie ist der Widerstand gegen Ceta in Kanada organisiert?
Die Regierung unter Premierminister Stephen Harper ist sehr verschlossen. Das ist, als ob man gegen eine Wand reden würde. Dadurch gibt es keinen Platz für eine öffentliche Debatte. Es formiert sich aber generell Widerstand gegen diese Haltung Harpers. Und dann: 2015 haben wir Unterhauswahlen. Viele wollen eine andere politische Kultur.
Ceta gilt als Musterabkommen für das Freihandelsabkommen der EU mit den USA, TTIP. Sehen Sie das auch so?
Das ist ja wohl offensichtlich. Sie können sich sicher sein, dass die Amerikaner Ceta als unverrückbare Basis für weitere Verhandlungen heranziehen werden. Weniger werden sie garantiert nicht akzeptieren.