Wien. Die Casinos Austria gegen den argentinischen Staat. OMV versus die Türkei. EVN gegen Bulgarien. Internationale Unternehmen verklagen auf der Basis von Investitionsschutzabkommen ganze Staaten. Kaum ein Punkt in den derzeit laufenden Verhandlungen zum Transatlantischen Handelsabkommen (TTIP) zwischen den USA und der EU regt so sehr auf wie dieser.

Konkret geht es um das sogenannte "investor-to-state dispute settlement", kurz ISDS, das ausländischen Firmen die Möglichkeit einräumen soll, vor nichtstaatlichen Schiedsgerichten gegen Staaten vorzugehen. "Diese Rechtsmöglichkeit ist sehr problematisch. Unternehmen sollten nicht Staaten verklagen können", sagt Alexandra Strickner von der globalisierungskritischen NGO Attac. Neben Attac bringt das Klagerecht vor Schiedsgerichten eine ganze Reihe von NGOs, Gewerkschaften und sogar Staaten auf die Palme. Widerstand kommt auch von österreichischer und deutscher Seite.

Staatliche Firmen auch Kläger

Neu ist in erster Linie die Aufregung. Denn internationale Investitionsschutzabkommen und Schiedsgerichte gibt es seit den späten 1950ern (siehe Kasten). Und heimische Firmen haben immer wieder davon Gebrauch gemacht. Erst am 16. Juni dieses Jahres hat der teilstaatliche Ölkonzern OMV eine Klage gegen den türkischen Staat vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) in Washington eingebracht. Das ist eine internationale Schiedsinstitution, die zur Weltbankgruppe gehört. Grund für die Klage ist das Scheitern der Nabucco-Gaspipeline, die von Aserbaidschan über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn Erdgas nach Österreich liefern sollte.

Letztlich hat aber die Türkei mit Russland gemeinsame Sache gemacht und Nabucco damit zu Grabe getragen. Die OMV hat das geschätzte 50 Millionen Euro gekostet. Zumindest einen Teil des Geldes möchte man jetzt von der Türkei zurückhaben.

Auch die Casinos Austria sind kürzlich gegen Argentinien vors ICSID gezogen. Die argentinischen Behörden haben den Casinos die Lizenz entzogen und deren Tochter Enjasa Geldwäsche vorgeworfen. Der staatliche Glücksspielriese verlangt jetzt 250 Millionen Dollar Schadenersatz für den Lizenzentzug. Detail am Rande: Sollte beiden teilstaatlichen Konzernen recht gegeben werden, freut sich auch die Republik als Eigentümerin.

Der niederösterreichische Energiekonzern EVN ist gleich drei Mal vor ein internationales Schiedsgericht gegen Mazedonien und Bulgarien gezogen. Im ersten Fall ging es um uneinbringliche Stromrechnungen. Hier hat man sich außergerichtlich geeinigt. Mit Bulgarien wird aktuell über Abgeltungstarife für erneuerbare Energien gestritten. Der Konzern hat diese vorfinanziert und möchte laut bulgarischen Medien nun 600 Millionen Euro vom Staat zurück. Laut ICSID-Archiv gehen auch andere heimische Firmen gegen Staaten vor, etwa die Strabag gegen Libyen wegen eines Infrastrukturprojekts. Und auch vor den Schiedsgerichten in Paris und Victoria, Kanada, haben international tätige heimische Unternehmen geklagt; die AUA ist 2007 gegen die Slowakei vorgegangen.

Jetzt wird auch die Republik Österreich erstmals in Washington geklagt. Und zwar von den Eigentümern der Meinl-Bank, der Far-East-Gesellschaft, die wegen der langjährigen Ermittlungen gegen Julius Meinl und den Bankdirektoren 200 Millionen Euro von der Republik verlangt. Wie viele solche Verfahren geführt wurden, ist nicht bekannt. Das liegt daran, dass diese sehr diskret ablaufen und die Firmen diesbezüglich sehr wortkarg sind. Niemand möchte das Image eines Staaten-Anklägers.

Weltweit mehr Verfahren

In den vergangenen Jahren sind die Verfahren gegen Staaten laut der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) sukzessive angestiegen. Wurden in den 90ern jährlich nur eine Handvoll Klagen eingebracht, wurden laut UNCTAD mittlerweile insgesamt 568 solcher Verfahren geführt, wobei die Dunkelziffer größer ist. Allein 2014 waren es 42. Und: Während früher vor allem Schwellenländer aus dem globalen Süden von Investoren angeklagt wurden, geraten heute immer öfter EU- und Industriestaaten ins Visier der Schiedsjustiz.

So etwa Deutschland, das vom schwedischen Atombetreiber Vattenfall in Washington wegen des Atomausstiegs geklagt wurde. Streitsumme: 4,5 Milliarden Euro. Ein weiteres drastisches Beispiel ist das Verfahren von Philipp Morris gegen Australien und zuvor Uruguay. Beide Länder haben ihren Nichtraucherschutz zuungunsten des Konzerns geändert. NGOs und Bürgerinitiativen haben nun Angst, dass diese Praxis durch TTIP einreißt und Staaten aus Angst vor Klagen ihre Umwelt- und Arbeitnehmerschutzgesetze nicht ändern.

Dass die Anzahl der Verfahren steigt, liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Erfolge herumsprechen, die Verfahren diskret ablaufen und es keine Berufungsmöglichkeiten gibt. Außerdem machen große Anwaltskanzleien, deren Stundensatz oft bei 1000 Dollar liegt, gute Geschäfte mit solchen Klagen und werben proaktiv um Kunden.

Rund ein Drittel der Verfahren geht zugunsten der Firmen aus. In einem weiteren Drittel der Fälle einigt man sich quasi außergerichtlich. In der Praxis sieht das so aus, dass ein beklagtes Gesetz zurückgenommen oder abgeschwächt wird. In einem Drittel der Fälle gewinnt der Staat.