Freihandel ist wieder in Diskussion geraten. Sie entzündet sich nicht nur an TTIP, dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU, sondern auch an der Frage, ob innerhalb von Europa wieder verstärkt Grenzkontrollen für Güter und Dienstleitungen eingeführt werden sollen. Doch warum gibt es eigentlich soviel Kritik? Internationaler Handel schafft Wohlstand, das ist eine der ältesten Erkenntnisse der Volkswirtschaft. Worauf aber beruht sie eigentlich? Und wenn das stimmt, warum gibt es dann so viele Gegner einer weiteren Handelsöffnung?

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat David Ricardo die Theorie komparativer Kostenvorteile entwickelt: Typischerweise sind Länder unterschiedlich produktiv in der Erzeugung unterschiedlicher Güter. Das mag auf unterschiedliche technische Kenntnisse zurückzuführen sein oder aber auch darauf, dass die Produktionsfaktoren in einem Land besonders günstig sind für die Produktion bestimmter Güter. Ein Land wie Österreich mit hochqualifizierten Arbeitskräften hat eben einen Vorteil in der Produktion von High-Tech-Produkten, so hat zum Beispiel jüngst Bundeskanzler Christian Kern auf die international erfolgreiche Schienen- und Weichenerzeugung in Österreich verwiesen. Bei einfachen Textilien wird Österreich aber nur schwer mit den Niedriglohnländern konkurrieren können.

Ingrid Kubin ist Professorin für Internationale Wirtschaft und Vorständin des Departments Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Ingrid Kubin ist Professorin für Internationale Wirtschaft und Vorständin des Departments Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Mit internationalem Handel können Länder ihre Produktion auf Sektoren, in denen sie besonders produktiv sind, spezialisieren und ausdehnen - diese Güter exportieren sie. Im Gegenzug importieren sie Güter, deren Produktion eingeschränkt wurde. Österreich kann sich auf die besonderes produktive Herstellung von Industriegütern spezialisieren, in diesem Bereich die Produktion ausdehnen und diese Güter exportieren. Im Gegenzug kann die Produktion in weniger produktive Sektoren eingeschränkt werden, diese Güter werden importiert zum Beispiel eben einfache Textilien; und die Preise sind niedriger, als sie bei einer Produktion in Österreich wären.

Wohlstandsunterschiede werden nicht beseitigt

Was aber ist mit Ländern, aus denen Österreich die einfachen Textilien bezieht? Was ist mit Ländern, die in keinem Sektor besonders produktiv sind? Selbst diese Länder profitieren vom internationalen Handel, da sie die Produktion in den total unproduktiven Sektoren einschränken können (diese Güter werden importiert) und in den etwas produktiveren Sektoren ausdehnen (und exportieren), das kann eben der Textilsektor sein. Außenhandel erhöhte so den Wohlstand für alle am Handel beteiligten Länder; aber Wohlstandsunterschiede werden höchsten reduziert, nicht aber beseitigt. (Außenhandel ist eben auch kein entwicklungspolitischer deus ex machina).

Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Die Wohlstandsgewinne sind nicht automatisch gleich verteilt innerhalb der Länder - eine Intensivierung des internationalen Handels schafft Gewinner und Verlierer. Es kann gezeigt werden, dass die Gewinne größer als sind als die Verluste, aber es gibt eben auch Verliererinnen und Verlierer.

Die Verlagerung der Produktion weg von den Sektoren mit geringer Produktivität hin zu den Sektoren mit höherer Produktivität verlangt Mobilität der Arbeitskräfte: sie werden arbeitslos, finden einen neuen Arbeitsplatz vielleicht nur in einer anderen Region, vielleicht nur, wenn sie eine andere Qualifikation erlernen. Das ist einfacher, wenn Anpassungsprozesse langsam ablaufen. Der Beschäftigtenanteil in der Textilbrache in Österreich ist seit den 60er-Jahren langsam, aber kontinuierlich gesunken und ist heute verschwindend klein. Dieser Prozess fiel zudem mit der Ausweitung des Bildungsangebots in den 70ern zusammen; die Tochter der Textilarbeiterin konnte eine höhere Qualifikation erwerben und einen besseren Arbeitsplatz finden.

Gewinne sind höher
als die Verluste

Aber nicht nur die Anpassungsprozesse verursachen Verluste und Verliererinnen und Verlierer: Die Unternehmen, die im weniger produktiven Sektor verbleiben, verlieren auch; die Löhne unqualifizierter Arbeitskräfte werden sinken, während Löhne in produktiveren, exportorientierten Sektoren ansteigen werden. Da die Gewinne größer als die Verluste sind, gibt es Raum für eine wirtschaftspolitische Gestaltung dieses Umstrukturierungsprozesses, eben durch Bildungspolitik oder durch Sozialpolitik.

Heutzutage findet jedoch ein beträchtlicher Teil des Handels zwischen vergleichbaren Ländern statt, der größte Handelspartner Österreichs ist Deutschland. Beide Länder sind vergleichbar, was Produktivität und Faktorausstattung betrifft. Paul Krugman hat Ende der 1970er-Jahre einen Erklärungsansatz für diese Art von internationalen Handel entwickelt, für den er später auch den Nobelpreis erhalten hat. Anfang der 2000er Jahre hat Marc Melitz diese Theorie weiterentwickelt. Moderne industrielle Produktion ist demnach durch Größenvorteile gekennzeichnet. Unternehmen können billiger anbieten, wenn sie eine größere Stückzahl produzieren. Internationaler Handel setzt die Unternehmen zwar intensiverer Konkurrenz aus, vergrößert aber auch die Absatzmärkte und erlaubt so, die Kosten und Preise zu reduzieren.