Vor zwei Jahren eröffnete das Café Menta, ein Designerlokal mit mondäner Industrie-Atmosphäre. Fabriksleuchten hängen von der Decke, die Betonwände wirken archaisch und kühl, Kaffee und Speisen sind hervorragend. Hinter dem Café stecken die Anrainerin Selda Gürselsi und der Gastronom Ilhan Dogan, der auch die Schöne Perle am Karmelitermarkt betreibt. Seither schossen die Szenelokale wie die Schwammerl aus dem Boden. Sei es die Garage 01 in einem der Viaduktbögen, die Retrokaffeebar Das Radetzky oder das Mini-Beisl Gedöhns, nur einen Steinwurf weiter die Löwengasse runter.

Bei dieser Entwicklung kann einem beinahe angst und bange werden. Wird die Gegend jetzt so schick wie der 6. Bezirk? Steigen die Mieten nun ins Unermessliche? Ist das schon diese leidige Gentrifizierung, die man aus London und Berlin kennt?

Tatsächlich winken ihre Vorboten bereits von den Dächern des Viertels. Sie manifestieren sich in Dachgeschoß-Wohnungen. Ihr Auftauchen ist ein untrügliches Zeichen für steigende Wohnpreise. Überall wird aufgestockt und ausgebaut. Im ganzen Viertel hört man die Hämmer und Sägen, an jeder Ecke stehen Baukräne.

Die 31-jährigen Doktoratsstudentin Xenia und ihr Freund Thomas konnten von ihrer Wohnung in der Unteren Viduktgasse direkt auf den Radetzkyplatz sehen. "Leider musste wir ausziehen. Der Mietvertrag war befristet", sagt sie. Nun werde sie viel teurer vermietet. "Wir lebten hier aber so gerne, dass wir uns wieder im Grätzel auf die Suche machten." Gleich ums Eck wurden sie fündig. "Nun zahlen wir ein bisschen mehr als zehn Euro pro Quadratmeter. Ist zwar nicht wirklich günstig, bei der momentanen Lage am Wohnungsmarkt aber ein echter Glücksgriff."

Idyll an der Kippe

Stöbert man auf den Immobilienseiten im Internet findet man im Weißgerberviertel kaum eine Wohnung unter 14 Euro pro Quadratmeter. Edelsanierte Dachgeschoß-Wohnungen um eine Million Euro gibt es dagegen wie Sand am Meer. Droht das Idyll also zu kippen? Bis jetzt funktioniert das Zusammenleben nahezu reibungslos.

Willi pumpt mittlerweile Luft in den Vorderreifen des Rennrads eines Fremden. Einen schlüpfrigen Witz erhält er ungefragt dazu. Türkischsprachige Jugendliche schieben den Trolley der älteren Dame. Noch zeigt sich am Radetzkyplatz die Pluralität einer wahren Metropole. Doch die Gefahr eines Strukturwandels droht. Die Immobilienentwickler und Investoren haben schon Lunte gerochen. Das ehemals graue Viertel hat das Potenzial einer Goldgrube. "Ich will nicht unter lauter Reichen wohnen", schreit Xenia. Ihre Worte werden vom Donnern eines Presslufthammers verschluckt.