Das österreichische Verfassungsrecht normiert eine besonders strenge und kompromisslose Rechtsstaatlichkeit, wie sie sich so kaum in der Verfassung eines anderen Staates findet. Ein Kern dieses Prinzips ist der Art. 18 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz), wonach "die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden" darf.

Diese Ausprägung des Legalitätsprinzips setzt insbesondere der Regierung klare Schranken: Sie darf nicht einfach durch Verordnungen in das Leben der Bürger eingreifen. Vielmehr muss die Administration jeden derartigen Akt auf eine eindeutige Gesetzesbestimmung stützen.

Auch für Ermessensentscheidungen von Behörden bestehen enge Grenzen. Behörden müssen selbst dort, wo ihnen das Gesetz einen gewissen Spielraum einräumt, genau und aus dem Gesetz begründen, wie sie diesen genutzt haben.

Vorrang für das Recht

Die Verfassung lässt nur eine Ausnahme von diesem Grundsatz zu - das sogenannte Notverordnungsrecht. Das hat nur der Bundespräsident, und auch dieses unterliegt ganz genauen Kontrollen. Eine derart strikte Bindung der Verwaltung ans Gesetz ist eine internationale Besonderheit.

Diese hat ihren Grund darin, dass die Verfassungsväter von der radikalen Grundannahme ausgingen, das Gesetz drücke den Volkswillen aus, dem in der Demokratie alles unterzuordnen ist. Für Naturrecht, das über dem Gesetz steht, für allgemeine ungeschriebene Rechtsgrundsätze oder für einen Vorrang der Politik vor dem Recht ist da keinerlei Platz.

Die Gesetze wiederum müssen so präzise geschrieben sein, dass sie das Handeln der Verwaltung eindeutig vorherbestimmen. Allgemeine, lückenhafte oder widersprüchliche Ermächtigungen sind verfassungswidrig. Die Judikatur, mit der nicht ausreichend bestimmte Gesetze aufgehoben wurden, ist Legion, und der Verfassungsgerichtshof ist hier sehr fordernd. Geringere Anforderungen an den Bestimmtheitsgrad lässt man nur für privatwirtschaftliche Tätigkeiten der Verwaltung zu.

Hermelinpelz auf Richter-Talaren hat 2001 ausgedient, nach einer Gesetzesänderung sind es Kaninchenfelle. - © adobe.stock/Olga Rutko
Hermelinpelz auf Richter-Talaren hat 2001 ausgedient, nach einer Gesetzesänderung sind es Kaninchenfelle. - © adobe.stock/Olga Rutko

Natürlich sind auch die Gerichte ans Gesetz und nur an dieses gebunden - und als zusätzlicher Schutz für die Bürger ist die Justiz von der Verwaltung in all ihren Instanzen vollkommen getrennt. Über strafrechtliche Anschuldigungen und in privatrechtlichen Streitigkeiten müssen immer die unabhängigen Gerichte entscheiden.

In Gerichtsverfahren, vor allem im Strafrecht, haben Betroffene klare Rechte auf den zuständigen Richter, auf volles Gehör und Schutz vor rückwirkenden Gesetzen. Aus dem Rechtsstaatsprinzip des B-VG ergibt sich ein differenziertes Konzept wechselseitiger Abhängigkeit und gegenseitiger Kontrolle von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Das Parlament kontrolliert die Regierung und gibt ihr die Grundlagen ihres Handelns vor. Die Gesetzgebung unterliegt aber auch selbst einer gewissen Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof. Dieser kann Gesetze aufheben, wenn sie verfassungswidrig sind. Die Gerichte, insbesondere die Verwaltungsgerichte, überprüfen Bescheide und Verordnungen. Richter sind unabhängig, und die Gerichte sind von den Verwaltungsbehörden sauber getrennt, was vor allem für die Beziehungen zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft sowie zwischen Justizminister und Gerichten von großer Bedeutung ist.

Vom Einzelnen eingeleitet

Ein österreichisches Spezifikum ist die starke verfassungsrechtliche Stellung des Verwaltungs- und des Verfassungsgerichtshofes. Letzterer kann Verordnungen wegen Gesetzwidrigkeit und Gesetze wegen Verfassungswidrigkeit aufheben. Sogar völkerrechtliche Verträge können überprüft werden. Unter gewissen Voraussetzungen kann ein derartiges Verfahren auch vom Einzelnen eingeleitet werden. Überall, wo der Staat in dessen Grundrechte eingreift, kann die Gerichtsbarkeit wirksame Abhilfe schaffen. Sollte es trotz dieses engen Systems noch irgendwo eine Lücke im Schutz der Bürger vor staatlichen Maßnahmen geben, hat auch noch die Volksanwaltschaft ergänzende Kontrollmöglichkeiten.

Der Beitritt zur EU und die Übernahme von Europäischem Recht hat in den vergangenen Jahren einzelne Elemente eines anderen Rechtsstaatsverständnisses mit sich gebracht. Rechtstexte aus Brüssel sind oft unklarer, das Modell des angelsächsischen Richterrechts scheint mitunter deutlich durch - doch hat dies keinerlei substanzielle Änderung des österreichischen Rechtsstaatskonzepts bewirkt.